21. Januar 2021
«Versicherungen werden auch im ICT-Umfeld nach wie vor verkauft – und nicht gekauft»

Andri, wie viel Ahnung von IT hast du eigentlich?
Der Begriff «IT» ist in meinem Empfinden ähnlich breit gefasst wie der Begriff «Medizin». So gesehen bin ich in diesem Kontext sicher kein «Chirurg». In den letzten zwölf Jahren hatte ich jedoch mehrere IT-Teams in meiner Führungsspanne. IT-Engineering erachte ich als Enabler einer Produktvision und kundenzentriertes Business Engineering erachte ich als die Seele dieser Vision. Visionen werden dann Realität, wenn Koexistenz gelebt wird. Das ist mein Verständnis von IT.
Kannst du programmieren?
Nein, das können andere besser als ich. Da ist mein Ansatz klar: Schuster, bleib bei deinen Leisten! Meine Stärken liegen eher beim Befähigen von Teams als beim «selber alles machen, können, wollen».
Was hältst du von CEOs, die öffentlichkeitswirksam an Programmierkursen teilnehmen? Ist das Show? Oder bringt das wirklich etwas?
Ich finde es vorbildlich, wenn CEOs grosser Firmen sich dafür interessieren, wie Programmieren funktioniert. Das schafft Verständnis und kann kulturelle Barrieren brechen. Für mich ist das aber nichts Ausserordentliches, denn Ingenieure gehen auch in Marketing-Kurse, um etwas über Value Proposition zu lernen.
Du hast deine Karriere in einer grossen Versicherung gestartet – und bist jetzt im Start-up gelandet. Wie kam das?
Ich habe in der Assekuranz meine Laufbahn gestartet. Vor zwölf Jahren habe ich der Branche aber den Rücken gekehrt, weil sie mir zu träge war. Dann kamen mehrere Stationen bei Start-ups, unter anderem bei Tamedia und später bei Ricardo – sprich im E-Commerce. Im E-Commerce hat das Thema Kundenzentrierung zum Paradigmenwechsel geführt. Die Assekuranz ist erst deutlich später auf diese Welle aufgesprungen. Über den Daumen gepeilt sehe ich einen Nachholbedarf von zehn Jahren. Nun, weshalb kam ich dann zurück in die Branche? Ich wollte die Convenience von E-Commerce und meine Learnings aus dieser Zeit in die Assekuranz zusammenführen. Nicht zuletzt deshalb habe ich dann auch esurance mitgegründet. Seither machen wir Versicherungen für KMUs einfach, digital und transparent.
Wie kommt esurance in Zeiten von Fachkräftemangel an gute Leute?
Aus meiner Sicht sind es zwei Sachen: Purpose, also Sinnhaftigkeit, und eine faire Entschädigung. Punkt. Wir leben unsere Werte mutig, vernetzt, klar und nahbar Top-down und Bottom-up. So ziehen wir Leute an, die «on brand» denken und handeln, also in Übereinstimmung mit den Markenwerten. Das scheint zu funktionieren, denn auf das Team, das wir jetzt beisammen haben, bin ich echt stolz.
Start-ups und Gründer respektive Gründerin werden ist für die heutige Generation eine echte Alternative geworden zur Karriere im Grosskonzern. Kommt euch das zugute?
Wir bei esurance glauben an Selbstbestimmung. Das lässt sich im Start-up-Umfeld viel einfacher leben als im Corporate-Bereich. Diese Selbstbestimmung ist ein Asset, den wir spielen können und den wir auch nutzen. Auf der anderen Seite ist klar: Die monetäre Entschädigung bei einer Versicherung ist höher. Ich stelle jedoch unterdessen erfreut fest, dass man ab einer gewissen Salärgrenze zu Kompromissen bereit ist, weil eben das Gesamtpaket relevant ist. Das finde ich eine spannende Entwicklung.
esurance wächst recht schnell, wie wir vernommen haben. Was machst du da, damit die Kultur erhalten bleibt?
Zu schnell wachsen ist nicht gut. In einem Start-up, das ich zusammen mit Tamedia mitgegründet hatte, waren wir anorganisch innerhalb von drei Monaten auf 30 Mitarbeiter gewachsen. Dort habe ich die Erfahrung gemacht: Das kriegst du kulturell fast nicht gebacken! Wir sind nun 33 Leute bei esurance, konnten das Team aber über mehrere Jahren aufbauen. Ich finde es zentral, dass sich ein stabiler Kern an Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bildet, wo auch mal der eine oder andere wieder geht, aber der Kern die Kultur nachhaltig entwickeln kann.
Zurück zur Frage; wir wachsen überdurchschnittlich, weil unsere Plattform skaliert. Ich muss nicht linear Leute anstellen. Das ist unsere Daseinsberechtigung als Plattform. Wir machen ja etwas anders als herkömmliche Broker mit einem herkömmlichen Geschäftsmodell.
Wie sieht deine Bilanz nach acht Monaten ICT-Versicherungen aus?
Die ist gemischt. Zum einen haben alle, welche die Lösung prüften, substanziell davon profitieren können. Das zeigt, dass wir etwas machen, was Sinn macht. Auf der anderen Seite ist uns die Bude nicht eingerannt worden. Versicherungen werden auch im ICT-Umfeld nach wie vor verkauft – und nicht gekauft. Das überrascht uns nicht komplett. Entsprechend sind wir auch gemäss Plan unterwegs.
Wie geht ihr bei esurance mit Corona um? Ist es eher gut oder schlecht fürs Geschäft?
Wir sind gut dran, da wir einen hohen Digitalisierungsgrad haben. Zudem ist das Thema Sicherheit und Versicherungen gerade relevanter geworden. Wir spüren aber den wirtschaftlichen Druck und sehen, dass Firmen Konkurs gehen. Auch stellen wir fest, dass Leute Schutz kaufen wollen, es sich aber zweimal überlegen, ob sie sich das leisten können.
Was mir am meisten Sorge bereitet, ist jedoch die Isolation. Kaum jemand spricht über die psychischen Folgen, die sich anbahnen. Zurzeit wird viel über die physischen Auswirkungen, sprich die positiven Corona-Tests, geschrieben, aber wie geht es unserer Gesellschaft psychisch?
Wie läuft das Geschäft in den Geschäftsbereichen ausserhalb der ICT-Versicherungen?
Beim Bereich «Verpflegung und Beherbergung» liegen wir trotz Corona über Ziel und knacken bald die Marke von 20 Prozent Marktanteil. Es wird also nach wie vor gegründet, in der Gastronomie, das ist erfreulich. Erfreulich war auch, dass unsere Lösung im Gegensatz zu anderen Mitbewerbern zu Beginn der Pandemie «brilliert» hat, sprich, im ersten Teil der Pandemie Betriebsausfälle bezahlt hat. Das hat auf unsere Reputation eingezahlt.
Und im stillen Kämmerlein arbeiten wir seit ungefähr einem halben Jahr am nächsten Coup, der im Januar 2021 auf den Markt kommt. (Anmerkung der Red.: Das Interview wurde Anfang November 2020 geführt.)
Wo siehst du esurance in zehn Jahren?
Wir sind 2016 angetreten, um Versicherungen für KMUs einfach, digital und transparent zu machen. Wir gehen neue Wege und verfolgen dabei eine «Ease of use»-Vision.
Das heisst: Wir vereinfachen Prozesse überall da, wo der User sich über einen Dialog nervt. Wir automatisieren Prozesse, wo Versicherer keinen Dialog brauchen, weil er nur kostet und wenig bringt. Wir lassen werthaltige Gespräche entstehen, wo User, Broker und der Versicherer wirklich den Dialog wünschen. Das ist der Weg.
Der Punkt ist: Heute kauft man Versicherungen noch immer aus den «Produkt-Silos» der Versicherungsgesellschaften. BVG ist ein anderes Silo als KTG – und so weiter. Als Unternehmer möchte ich aber einfach eine integrale Lösung, wo ich zum Beispiel eine Neuanstellung mit zwei bis drei Klicks versicherungstechnisch erledigen kann – am liebsten verknüpft mit der eigenen Kernapplikation. Die Rechnung monatlich bezahlen wäre aus Liquiditätsgründen vielleicht noch wichtig, den Vertrag jederzeit künden können allenfalls noch eine relevante Option. That’s it.
In zehn Jahren werde ich dich fragen, ob du dich noch erinnern kannst, wie es damals war, als dir noch Versicherungen von der Stange verkauft wurden. Und du dabei viele Fragen beantworten musstest – vielleicht sogar noch auf einem Papierformular. Du wirst dann feststellen, dass der Kauf von «Versicherungsschutz» ein integraler Bestandteil unterschiedlicher Ökosysteme geworden ist, wo vieles einfacher geworden ist. Und vielleicht wirst du feststellen, dass der Brand esurance dir mitgeholfen hat, dich zu mehr Selbstbestimmung zu befähigen.
Und in greifbaren Zahlen – wie Anzahl Mitarbeiter oder Marktanteile?
Wenn du mir sagst, dass esurance dich zu mehr Selbstbestimmung befähigt hat, dann ist es mir persönlich völlig egal, mit wie vielen Mitarbeitern und Marktanteilen wir das geschafft haben.
Was sind aus deiner Sicht die wichtigsten Trends im Bereich Insurtech?
Im Kern ist das Versicherungsgeschäft ein reines Datenmodell. Daten und Transaktionen. Verglichen mit anderen Märkten liegt noch eine massive Effiziensteigerung drin in der Versicherungsindustrie. Ich glaube, dass mit digitalen Ökosystemen ein Paradigmenwechsel eingeläutet wird.
Heisst konkret: Ich erkenne dich als Risiko im relevanten Micro Moment – als gutes oder schlechtes. Ich weiss viel besser, was deine Bedürfnisse sind, wer du bist, und kann dir deswegen kontextuell Mehrwert bieten und dabei Komplexität reduzieren. Das kehrt den ganzen Prozess um. Das Gute daran ist: Du als Kunde bekommst mehr Kraft. Der freizügige Umgang mit Daten wird einen Einfluss auf das Preis-Leistungs-Verhältnis deines Schutzes haben. Je mehr du bereit bist, deine Daten zu teilen, desto personalisierter wird dein Schutz werden. Mit dem Risiko, dass du als schlechtes Risiko auch gar keinen Schutz bekommst.
Klar ist auf der anderen Seite: Der Kunde ist träge. Der richtige Einsatz von Technologie ist immer komplexer, als es auf dem Papier des Beratungsunternehmens aussieht. Aber dass der Paradigmenwechsel kommt, ist für mich so klar wie das Amen in der Kirche.
Man sieht zum Beispiel beim elektronischen Patientendossier, wie lange so was gehen kann…
Genau. Der Mensch will keine Veränderung. Die wenigsten wollen Veränderungen. Aber Veränderung hat immer stattgefunden.
Andri, herzlichen Dank für das Gespräch!
Bild: zvg
Disclaimer: Dieser Artikel erscheint im Rahmen der Partnerschaft mit esurance, einem Mitglied von swissICT. Gemeinsam mit esurance und dem Label swiss made software bietet swissICT seit April 2020 branchenspezifische und kostengünstige Versicherungslösungen an. Alle Informationen rund um dieses Angebot finden Sie unter www.swissict.ch/esurance