21. April 2021

«Die Konkurrenz von Refind sind nicht News-Aggregatoren, sondern die knappe Ressource Zeit»

Dominik Grolimund (in der Mitte) engagiert sich seit vielen Jahren im swissICT Vorstand. Seit Anfang Jahr können swissICT Mitglieder die Premium Variante seiner Plattform Refind kostenlos nutzen. Was Refind zu bieten hat und wie es weitergehen soll mit der Plattform, verrät er in diesem Interview.

Sag mal, wie nutzt du Refind für dich persönlich?

Dominik Grolimund: Nun, eigentlich habe ich Refind in erster Linie für mich selber gebaut. Jedes Feature ist so konzipiert, dass es mir etwas bringt, allen voran der Kernalgorithmus, der mir aus Millionen neuer Links jeden Tag 10 zusammenstellt, die für mich relevant sind. Davon lese ich dann üblicherweise zwei bis drei.

Was macht Refind einzigartig?

Dominik Grolimund: Von den anderen sieben bis acht Artikeln möchte ich meistens immer noch einen oder zwei lesen, es fehlt mir aber die Zeit. Diese setze ich dann auf die Leseliste von Refind. Anders als eine herkömmliche Leseliste wird auch diese von einem Algorithmus «verwaltet». Wenn ich dann mal Zeit habe und etwas lesen möchte, schlägt mir der Algorithmus einen Artikel vor, den ich als nächstes lesen sollte, gemäss meinen aktuellen Interessen.

Eines unserer Prinzipien ist «weniger ist mehr»: Lieber lese ich einen relevanten Artikel bis zum Ende durch, als dass ich die Headlines dutzender Artikel scanne. Dieses Prinzip wenden wir überall an,  darum sind Listen auf Refind endlich – und nicht unendlich, wie es sonst üblich ist im Web.

Was sind im Moment die beliebtesten Themen und Listen auf der Plattform?

Dominik Grolimund: Aus hoher Flughöhe vermutlich Marketing oder Design. Aber: Refind ist stark personalisiert und kennt viele Nuancen. Es lernt die Interessen der User und macht personalisierte Vorschläge. Refind schlägt eingangs 200 Themen vor. Der User muss daraus mindestens fünf auswählen. Und ab dann lernt und verfeinert Refind.

Wie lernt der Algorithmus?

Dominik Grolimund: Mit jeder Interaktion wird Refind ein bisschen schlauer. Es gibt implizite und explizite Signale. Ein implizites Signal ist beispielsweise, wenn du einen Link auf deine Leseliste setzt und dann effektiv liest. Das wird positiv gewertet. Negativ gewertet wird beispielsweise, wenn du über einen Link hinwegscrollst. Es gibt aber auch explizite Signale: «Wie war die heutige Auswahl der Links?», «more/less like this», etc.

Wie geht Refind mit Paywalls um?

Dominik Grolimund: Wir haben mehrere Tausend Publisher identifiziert. Wir wissen auch, ob sie eine Paywall haben und welchen Typen. Es gibt die harten Paywalls, bei denen du gar nichts lesen kannst. Dann gibt es softe Paywalls, wo du ein paar Artikel pro Monat lesen darfst. Wir haben das bei uns abgebildet. Wir wissen, wie es bei der NZZ oder beim Tagi funktioniert. Bei der Auswahl der Artikel für den Nutzer ist es kein starkes Kriterium. Die Publisher sind uns wichtig und es ist auch wichtig, dass sie Geld verdienen. Das Ziel von Refind ist es nicht, irgendeinen Umweg um die Paywall herum zu finden. Letztlich wollen wir, dass der User bei dem Publisher oder Blog landet, der ihm etwas bringt und den er gerne liest. Und dort soll er ruhig auch Abonnent werden.

Wenn aber ein neuer User kommt und wir schicken ihn zehn Mal auf ein Springer Paper, wo es dann heisst, dass er kaufen muss. Das ist blöd. Dort unterscheiden wir zwischen harten und soften Paywalls. Viel wichtiger als das Paywall-Kriterium ist aber das inhaltliche Matching.

Arbeitet ihr denn schon in irgendeiner Form mit Publishern zusammen?

Dominik Grolimund: Zurzeit nicht, aber wir können es uns langfristig vorstellen. Zum Beispiel könnten wir ein Feature anbieten, welches User mit Refind Premium dann direkt einen Zugang zu einem Link ermöglicht. Das ist aber alles noch in der Zukunft, weil Refind heute viel zu klein ist, um mit Publishern an den Tisch zu sitzen und zu reden. Das ist aber ein Punkt in der Vision.

Wie entwickelt sich die Plattform?

Dominik Grolimund: Da ich es in erster Linie für mich gemacht habe, war nicht von Anfang an die Erwartung, ein Business daraus zu machen. Einerseits wollte ich wieder programmieren – und zwar wirklich selbst. Ich will Machine Learning und all diese Themen in der Tiefe verstehen. Das war die Hauptmotivation. Und ich brauche etwas für mich, das mir eben diese Newsflut eindämmt. Darum bearbeite ich die Themen auch viel tiefer, als ich es sonst machen würde mit einem Startup, das möglichst schnell Umsatz generieren muss.

Es ist nicht die Monetarisierung, die mich reizt, sondern etwas zu machen, das nicht nur mir einen Nutzen stiftet, sondern vielen anderen auch. Und da kommt dann die Freude automatisch, weil ich merke, dass die Leute Refind aktiv benutzen und oft täglich wiederkommen.

Letztlich sind die Konkurrenz von Refind nicht andere News-Aggregatoren, sondern es ist die knappe Ressource «Zeit». Ich muss in deinem Alltag einen Platz bekommen. In diesem Alltag, der auch in der Freizeit so viele Möglichkeiten bietet, wie du digital deine Zeit verbringen kannst. Sei es auf YouTube, Twitter oder was auch immer. Dort muss Refind ein Stückchen von deiner Zeit bekommen.

Und das passiert?

Dominik Grolimund: Erfreulicherweise ja. Die längste Zeit seit der Gründung arbeite ich am Produkt. Und jetzt, wo das funktioniert, wo Refind eigentlich Zahlen hat, die über dem Benchmark liegen, kann ich so langsam den Fokus auf Wachstum umlegen.

Irgendwann Mitte des letzten Jahres habe ich gemerkt, dass die Retention super ist und es noch hundert Ideen gibt, wie ich das noch besser machen kann. Das würde ich auch schaffen, aber gleichzeitig habe ich einen Teil meiner Zeit jetzt verwendet, um über das Wachstum nachzudenken. So ändert sich das. Refind als Business ist zurzeit nicht spannend. Es verdient heute noch kein Geld. Es steht aber immer irgendwo die Idee im Raum, dass du mit so einem Business irgendwann Millionen von Nutzern hast. Das wäre die Voraussetzung, dass es irgendwann finanziell spannend werden könnte.

Kannst du etwas dazu sagen, wieviel Poweruser es auf Refind gibt?

Dominik Grolimund: Produkte haben typischerweise eine Retentionkurve, die brutal ist. Die Leute kommen am ersten Tag rein und am zweiten, dritten oder vierten Tag hast du nur noch einen Bruchteil von Leuten, die zurückkommen. Wenn du es schafft, dass 30 Tage später der User immer noch auf der Plattform ist, dann hast du etwas erreicht, das viele andere nicht erreichen. Und das haben wir.

Wichtig ist, wenn du einen Eimer mit Wasser hast und unten sind Löcher, dann bringt es nichts, wenn du möglichst schnell Wasser oben reinfüllen kannst. Der erste Schritt ist die Retention. Das ist jetzt der Fall und darum müssen wir jetzt am Wachstum arbeiten. Die absoluten Zahlen sind aber noch nicht spannend.

Aber man kann sagen, dass du Anzeichen hast und spürst, dass du bald in einen nächsten Schritt kommst, wo du über ein Wachstum nachdenken kannst.

Dominik Grolimund: Genau, so ist es. Früher habe ich 100 Prozent von meinem Tag am Produkt und an Retention gearbeitet und heute ist es vielleicht 50 Prozent. Ich möchte nach wie vor, dass das Produkt jeden Tag besser wird.

Wachstum ist im Ideenstadium. Wir denken verschiedene Ideen durch, weil wir nicht viel Geld in die Hand nehmen können. Wir können keine Plakatwerbung kaufen, damit die Leute Refind benutzen. Das würde auch nicht funktionieren.

Welche anderen Plattformen dienen dir als Inspiration? 

Dominik Grolimund: Es sind eher Features oder eine Umsetzung, wo ich finde, dass sie es besonders gut gelöst haben. Musik-Plattformen sind eine spannende Inspiration. Dort kannst du schauen, was Spotify macht mit den Problemen von Discovery und mit unterschiedlichem Nutzungsverhalten. Trotz dem unendlichem Spektrum wandeln sie die Signale der User um, um diese möglichst schnell glücklich zu machen. Das ist sicher eine Inspiration.

Oder wenn ich an der Suche arbeite, dann schaue ich andere Produkte an und wie sie die Suche gestaltet haben. Pro Feature sehe ich dann immer irgendetwas, was eine Idee sein und was ich probieren könnte. Aber es gibt nicht ein einziges Go-to-Produkt.

Du hast gesagt, dass du versuchst, dem User 10 Minuten pro Tag für Refind abzuknöpfen. Was hast du für andere Plattformen, denen du 10 Minuten gibst?

Dominik Grolimund: Wenige. Entweder bin ich am Arbeiten oder widme die Zeit der Familie. Da hat es nicht viel Platz für noch irgendetwas anderes.

Ich benutze eigentlich die anderen Apps, die du sonst klassisch nennen könntest, nicht wirklich aktiv. Wenn schon, dann benutze ich sie eher, um zu schauen, wie sie etwas gelöst haben und was noch cool sein könnte. Auf meinem Telefon herrscht ein Chaos. Wenn ich eine neue App installiere, dann ist die auf der hintersten Seite. Google Analytics ist meine Haupt-App. Oder auch Slack und Trello.  Und dann kommt schon bald Meteo vom Schweizer Fernsehen.

Abgesehen von Refind bist du ja noch bei verschiedenen Startups beteiligt. Was sind zurzeit die spannendsten Firmen, bei deinen du dabei bist?

Dominik Grolimund: Eines, das aktuell sehr spannend ist, heisst Angle. Das ist ein Startup, das im Clubhouse-Space unterwegs ist.

Clubhouse kennst du sicher. Das Audio-Ding, das jetzt so durch die Decke schlägt. Angle ist ein Zürcher Startup, das nach ihnen in diesen Audio-Space rein kam, aber noch bevor Clubhouse gehypt wurde. Und jetzt ist die Frage: Wie geht man damit um? Welche Strategie wählt man, wie positioniert man sich, etc.

Wer steckt da dahinter?

Dominik Grolimund: Es sind drei ETH Absolventen. Ich finde es sehr cool, wie sie ihr Produkt entwickeln. Da gibt es viele Themen, bei denen ich mich gut in ihre Lage versetzen kann.

Wie gross ist dein Engagement zeitlich gesehen ausserhalb von Refind?

Dominik Grolimund: Seit ich bei Refind den Fokus gesetzt habe, muss ich alles andere in meine Restzeit einpassen. Noch vor drei Jahren habe ich wohl pro Woche ein bis zwei Tage verwendet für Startups. Aber heute ist das stark reduziert. Du kannst nicht professionell investieren und gleichzeitig nebenbei ein Produkt oder ein Startup bauen. Das beisst sich irgendwie.

Dann ist das Engagement bei den Startups für dich eher ein Hobby, wo du Inspiration suchst?

Dominik Grolimund: Es ist sehr opportunistisch. Ich suche diese Cases nicht. Es sind meistens jene, die auf mich zukommen. Es muss dann einen guten Grund geben, damit ich am Schluss mitmache – meistens, weil mir das Startup gefällt und ich das Gefühl habe, dass ich helfen kann. Ich investiere in nichts, was mich nicht interessiert. Diese Verbindung muss ich schon haben.

Eine letzte Frage zur Startup-Szene in der Schweiz. Wie schätzt du ein, wie sich die Möglichkeiten verändert haben, seit du deine grossen Startups wie Wuala oder Silp rausgebracht hast?

Dominik Grolimund: Es ist professioneller und besser geworden. Früher warst du ein Pionier und musstest Meetings oder Konferenzen selber aus der Community heraus organisieren. Heute gibt es Gefässe dafür.

Es ist aber immer noch schwierig für Schweizer Startups, sich international durchzusetzen. Wir haben einzelne Beispiele, die erfolgreich sind. Aber es ist nicht so, dass wir Berlin, London oder das Silicon Valley geworden wären. Die Frage ist auch, ob das so sein muss. Die Qualität der Startups, die aus der Schweiz kommt, ist jedenfalls hoch. Besonders, wenn es um Deep-Tech geht.

 

Foto: Das Foto oben mit Dominik Grolimund (in der Mitte) wurde anlässlich des Swiss ICT Awards 2015 aufgenommen. Links von Dominik ist Priska Birrer-Heimo (Nationalrätin, Präsidentin Stiftung für Konsumentenschutz) auf dem Bild zu sehen, rechts von ihm Markus Haas (CSF AG). Fotograf war Jonas Weibel.

Weiterführende Links

Insider-Talk mit Dominik Grolimund am 6. Mai 2021

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