31. Januar 2020

Gute Grundausbildung oder lebenslanges Lernen?

Lebenslanges Lernen ist in der IT notwendig, aber nicht hinreichend. Man muss auch das Richtige lernen beziehungsweise wissen.

von Reinhard Riedl

Was ist wichtiger für Mitarbeitende einer IT-Abteilung: eine gute Grundausbildung oder ein lebenslanges Lernen? Die Antwort lautet: Beides zusammen ist notwendig, aber nicht hinreichend. Denn die stetige Entwicklung neuer Technologien sorgt dafür, dass lebenslanges Lernen nicht genügt. Die Fokussierung auf den Erwerb kurzfristigen Wissens kann nämlich zum Verlust des Wissensfundaments führen.

Wie viel neue Technologien braucht es?

Es gibt eine grosse Gruppe von IT-Mitarbeitenden, die alles dafür tut, dass in den IT-Projekten jeweils die neuesten Technologien eingesetzt werden. Dies gibt ihnen die Möglichkeit, in ihrem Lebenslauf Praxis­erfahrung mit möglichst vielen Technologien zu sammeln. Ob die neue Technologie jeweils gut fürs Projekt ist oder nicht, ist deshalb für sie zweitrangig. Denn sie ist immer gut für die eigene Karriere.

Es gibt aber auch eine noch grössere Gruppe von IT-Mitarbeitenden, die sich genau umgekehrt verhält: Sie betont, wie zweifelhaft und teuer der Einsatz einer neuen Technologie ist, und lehnt diese meist grundsätzlich ab. Ob damit das Unternehmen technologisch in Rückstand gerät, ist für sie zweitrangig. Hauptsache, sie müssen sich nicht mit neuen Problemen herumschlagen.

Beide Gruppen kosten ihr Unternehmen viel. Viel wertvoller sind dagegen IT-Mitarbeitende, die auf massvolle Technologie-Innovationen setzen und die Entscheide dafür oder dagegen jeweils aus Sicht des Unternehmensinteresses treffen. Sie profitieren aber auch selber davon. Sie werden nämlich mit einem nachhaltigen lebenslangen Lernen belohnt, weil eine massvolle Technologie-Innovation die Weiterentwicklung des Basiswissens und das Dazulernen von kurzfristig relevantem Neuen in eine vernünftige Balance bringt.

Wie viel grundlegendes Wissen braucht es?

Das Wissen über IT-Architektur scheint heute dünner gesät zu sein als je zuvor in den letzten drei Jahrzehnten. Bastler-Know-how ist alles, theoretisches Wissen gilt nichts. Das Verständnis für den Sinn zentraler Dienste schwindet und alle Aufgaben werden zunehmend in die Applikationen verlagert. Bis zu einem gewissen Grad ist das sinnvoll und berechtigt, darüber hinaus aber hochgradig ineffizient. Vor allem ist es ineffizient, wenn durchschnittlich qualifizierte Entwickler lokal Eigenschaften programmieren, die man über zentrale Dienste realisieren könnte, die von Spezialisten gebaut werden.

Das schnell aufeinanderfolgende Erscheinen immer neuer Technologien trägt leider wesentlich zur Wissenserosion und zur wachsenden Ineffizienz bei. Denn IT-Mitarbeitende haben keine Zeit, ihr Basiswissen aufzufrischen, und Unternehmen haben keine Zeit, über ihre Architektur nachzudenken. Das Verweigern von Lernerfahrungen mit neuen Technologien hat – aus andern Gründen – den gleichen Effekt. Man wird irgendwann blind gegenüber den Schwächen der eigenen Applikationslandschaft. Gleichzeitigt verliert man das eigene Wissensfundament.

Deshalb ist es wichtig, dass Mitarbeitende in ihrer Weiterbildung eine gute Balance finden zwischen dem Erlernen von Neuem und dem regelmässigen Auffrischen des theoretischen Grundwissens – wichtig für das Unternehmen und wichtig für sie. Ausserdem ist wichtig, dass wir uns durch neue Technologie das Zerstören einer guten IT-Architektur und guter Basis­dienste nicht aufzwingen lassen. Ohne Expertise von IT-Architekten gehen Unternehmen nicht beurteilbare Risiken ein.

Wie viel Qualität darf es denn sein?

Qualitätsentscheide sind strategische Entscheide. So wie die «technische Verschuldung» ein strategischer Entscheid ist. Nur muss man dafür ein gutes Grundwissen ebenso besitzen wie ein Wissen in den aktuellen Technologien. Der stetige Strom an Technologie Innovationen lässt leider auch das Wissen über Qualität erodieren und in der Folge das Qualitätsbewusstsein abstumpfen. Das Nichtmitmachen beim Technologiewandel zeitigt – aus anderen Gründen – die gleichen Folgen. In beiden Fällen kommt es dazu, dass das Funktionieren von IT-Lösungen mit hoher Qualität dieser Lösungen verwechselt wird. Das ist mit hohen Kosten verbunden und mit fortschreitendem Verlust des Wissens um Qualität.

Der wichtige erste Schritt

Unternehmen müssen deshalb dringend mit dem Technologie-Innovationsstrom vernünftig umgehen lernen. Die vorwärtsdrängenden Mitarbeitenden beim Technologie-Take-up zu bremsen ist dabei einfacher, als die zurückbleibenden zu mehr Technologie-Take-up zu bewegen. Denn Letztere besitzen oft nicht mehr die Fähigkeit, Neues zu lernen. Aber auch die Vorwärtsdränger verlieren oft ihr Grundwissen.

Ein erster Schritt ist deshalb, ein einfaches Assessment der Zukunftsfitness der Mitarbeitenden durchzuführen in Bezug auf Wissen und Know-how und danach die Weiter- und Nachbildung individuell zu fördern. Die Schweizer Informatik Gesellschaft (SI) und swissICT haben gemeinsam das 3L-Zertifikat geschaffen, das nach einer Prüfung der Fitness genau die Zukunfts­fähig keit von IT-Mitarbeitenden testiert. Es basiert auf einem Wissenstest und einer Bewertung von Ausbildung und Lebenslauf, die zwischen der Grundausbildung und der Weiterbildung eine gute Balance wählt – getreu dem Prinzip: Es braucht beides! Der hohe Anspruch des 3L-Zertifikats ist dabei Ausdruck des hohen Anspruchs an IT-Mitarbeitende in Zeiten des digitalen Wandels.

Die richtige Innovationsstrategie

Hat man zukunftsfitte Mitarbeitende, dann ist es möglich, mit dem Technologie-Innovationsdruck vernünftig umzugehen. Tut man Letzteres mit massvollen Technologie-Innovationen, so bleibt die Zukunftsfitness der Mitarbeitenden erhalten und man zieht weitere fähige Mitarbeitende an. Der stetige Strom an Technologie-Innovationen kann also, massvoll genutzt, ein nachhaltiges lebenslanges Lernen sehr gut unterstützen. Dabei lassen sich auch die Interessen von Unternehmen und Mitarbeitenden gut unter einen Hut bringen.

 

Autor:

Reinhard Riedl, Leiter IDEA – Institut Digital Enabling der Berner Fachhochschule und Präsident der Schweizer Informatik Gesellschaft SI

 

Über 3L Informatik AG

Die 3L Informatik AG ist ein Joint Venture von swissICT und der Schweizer Informatik Gesellschaft (SI). Das Unternehmen hat zum Ziel, schweizweit lebenslang Informatikkompetenz in der Arbeitswelt sicherzustellen.
www.3l-informatik.ch

Mit Ihrem Besuch auf unserer Website stimmen Sie unserer Datenschutzerklärung und der Verwendung von Cookies zu. Dies erlaubt uns unsere Services weiter für Sie zu verbessern. Datenschutzerklärung

OK