3. November 2020
Wie innovieren?
Unsere Umfrage der Fachgruppe Innovation von swissICT im 2. Quartal 2020 hat die Wichtigkeit von Innovationen unterstrichen. Als grosse Hürde für mehr Innovationen werden neben einer zurückhaltenden Unternehmenskultur im Bereich der Innovation vor allem Defizite im Innovationsprozess genannt. Letzteres überrascht ein wenig, da es doch eine Vielzahl von gut dokumentierten und verstandenen Innovationsprozessen und -methoden gibt.
Eine Recherche im Internet fördert über hundert Innovationsmethoden zu Tage. Aber vielleicht liegt die Herausforderung genau darin, aus diesem Universum die für das eigene Unternehmen und Anliegen geeignete Methode zu selektieren. Um bei dieser Selektion nicht den Überblick zu verlieren, ist es förderlich sich ein paar Auswahlkriterien zur Hand zu legen. Pragmatismus und einfache Anwendbarkeit standen bei den in diesem Artikel vorgestellten Kriterien im Vordergrund. Zur Übersicht an dieser Stelle eine Galerie als Übersicht zu den im Folgenden genannten Methoden.
Zwischen Freiraum und Ergebnisorientierung
Als ein erstes Auswahlkriterium bietet sich die Komplexität einer Methode an. Methoden mit geringer Komplexität lassen sich schnell aktivieren, bergen aber das Risiko, dass sie nur einen begrenzten Teil der Idee oder gar nur die Oberfläche beleuchten.
Ein Brainstorming ist beispielsweise rasch organisiert. Häufig ist aber ein erhebliches Mass an Nacharbeit erforderlich, um die gesammelten Aspekte auf Schlüssigkeit und Validität zu prüfen. Sollten zentrale Aspekte oder gar Widersprüche im Brainstorming selbst übersehen worden sein, dann droht die Massnahme am Ende sogar noch wertlos zu bleiben.
Komplexere Massnahmen versuchen über Modelle und Regeln mögliche Lücken oder Versäumnisse erst gar nicht entstehen oder unerkannt zu lassen. Dafür erfordern sie eine umfangreiche Einführung in die Methodik und verlangen von allen Involvierten die disziplinierte Ausübung der Ihnen zugedachten Rollen und Aufgaben innerhalb der Methode.
Beispielsweise müssen die Teilnehmer einer Walt-Disney-Methode ihre Rollen einnehmen können und wollen. Wenn ein Teilnehmer seine Rolle missinterpretiert oder verlässt, dann reduziert sich die Verwendbarkeit der erarbeiteten Ergebnisse. Generell ist auch die Balance zwischen zwei gegensätzlichen Zielsetzungen zu finden.
Ein hohes Mass an Regeln engt unter Umständen die Kreativität zu stark ein und führt dann eventuell nur zu einem vordefinierten Ergebnis, während ein zu geringes Mass an Steuerung die Gefahr birgt, dass der inhaltliche Fokus verloren geht und die erzielten Ergebnisse keine Antworten für die ursprüngliche Fragestellung liefern.
Ohne Fleiss kein Preis
Auch der zu erwartende Aufwand für den Einsatz einer Methode ist ein Kriterium. Es gibt Methoden, welche mit geringem Aufwand praktisch aus dem Stand erste verwertbare Ergebnisse liefern können. Dazu zählen zum Beispiel das bereits angesprochene Brainstorming oder die 6-3-5-Methode für die Ideengenerierung.
Aussagekräftigere Methoden, welche dann auch die Prozessschritte der Konkretisierung und Beurteilung abdecken, erfordern natürlich mehr Aufwand durch eine intensivere Vorbereitung, Einführung und Begleitung. Dieser Mehraufwand wird häufig mit konkreteren Ergebnissen belohnt, beispielsweise bei der Erstellung eines Prototyps oder Mockups. Kickbox-Verfahren zielen auf solche Ergebnisse ab und sind dafür entsprechend aufwändig. Sie dauern mehrere Wochen bis Monate und erfordern in vielen Fällen auch finanzielle Mittel, können dafür aber Innovationen bis zur Entscheidungsreife vorantreiben.
Auch die Kombination mehrerer Verfahren eignet sich für die Abbildung des gesamten Innovationsprozesses bis zur Entscheidungsreife. Zum Beispiel könnte man mit einem Brainstorming erste Ideen generieren und diese in einem World-Café vertiefen und bewerten.
Immer mal wieder oder immer wieder
Schliesslich sollte man sich auch die Frage stellen, ob eine Methode einmalig zum Einsatz kommen oder als zukünftiges Standardverfahren in einer Unternehmung verankert werden soll. Natürlich spricht nichts dagegen Methoden, welche jederzeit ad hoc zur Anwendung kommen können, zum Beispiel die 6-3-5-Methode, immer wieder einzusetzen.
Während hier die Aufgabenstellung von Thema zu Thema variiert, so darf man darauf vertrauen, dass sich zumindest in der Ausführung und der Moderation dieser Methoden mit der Zeit ein deutlicher Lerneffekt einstellen wird. Insbesondere Methoden, welche auf wissensorientierten Kompetenzzentren basieren, wie Wissensnetzwerke oder Technology Roadmapping, entfalten natürlich nur dann ihr volles Potenzial, wenn die Erkenntnisse aus früheren Innovationszyklen wiederverwendet werden können. Diese Methoden rechtfertigen ihre höheren Aufwände durch eine bessere Qualität der Ergebnisse bei der wiederholten Anwendung.
Agil mit System
Das wohl wichtigste Kriterium ist der Prozessschritt, in dem die gesuchte Innovationsmethode zum Einsatz kommen soll. Bestimmte Methoden sind eher für die Ideengenerierung geeignet, andere eher für die Ideenkonkretisierung oder die Ideenbewertung. Daneben gibt es auch noch die nicht gänzlich unwichtige Aufgabe der Ideenadministration. Die Übergänge zwischen diesen Prozessschritten sind naturgemäss fliessend. Im Sinne der Agilität dürfen die Prozessschritte auch gerne iterativ durchlaufen werden, um sowohl dem Fortschritt als auch der Flexibilität gleichermassen Rechnung zu tragen.
Für die Ideengenerierung bieten sich vor allem Kreativitäts- oder Provokationstechniken an. Dazu gehört zum Beispiel das Brainstorming oder die Reizwortmethode, welche beide bei geschickter Moderation kaum Vorbereitung benötigen. Auch die bereits erwähnte 6-3-5-Methode eignet sich insbesondere für die Ideengenerierung. Unter Einbezug der Kunden kann eine abgewandelte oder erweiterte Form der Kundenzufriedenheitsanalyse für die Ideengenerierung zum Einsatz kommen, welche die Wünsche und Vorstellungen der Kunden zu neuartigen Produkten und Produktmerkmalen abgreift.
Die Ideenkonkretisierung erstreckt sich von der Anreicherung einer Idee mit ergänzenden Aspekten, welche bei der Ausgestaltung zu beachten sind, bis hin zur detaillierten Konzeption oder Projektierung. Die Walt-Disney-Methode oder das World-Café sind hilfreich, um einmal geborene Ideen zu detaillieren und weitere Aspekte der Idee zu beleuchten. Diese können sich sowohl auf die Eigenschaften als auch auf das Realisierungsvorgehen der Idee beziehen. Auch die klassische Machbarkeitsanalyse kommt zum Einsatz, wenn die generelle Umsetzbarkeit einer Idee geprüft werden soll.
Im Prozessschritt der Ideenbeurteilung wird überwiegend auf die üblichen Instrumente der Projektierung zurückgegriffen. Die zur Anwendung kommenden Kriterien orientieren sich stark an der Zielsetzung der Innovationsidee und verschieben sich mit zunehmender Konkretisierung einer Idee von qualitativ zu quantitativ. Während in frühen Phasen der Beurteilung eine SWOT-Analyse ausreichend sein mag, wird man zur finalen Beurteilung eher zu einer Marktpotentialanalyse oder zu einer Nutzwertanalyse greifen. Spezifische Methoden ergänzen dabei die generelle Beurteilung. Beispielsweise eignet sich Technology Roadmapping u.a. dazu die generierten Ideen mit der generellen technologischen Entwicklung abzugleichen.
Natürlich gibt es auch Methoden, welche sich per Konstruktion über mehrere Prozessschritte erstrecken. Das zurzeit sehr populäre Design Thinking oder das darauf aufbauende Kickbox-Verfahren starten bei der Ideengenerierung und begleiten diese Idee bis zur Evaluation.
Zur Administration der generierten Innovationsideen eignen sich die klassischen Portfolio-Management-Methoden. Die Kriterien zur Verwaltung eines Innovationsportfolios ähneln dabei stark denen eines Projektportfolios, d.h. Stadium der Innovation, Reifegrad der eingesetzten Technologien und Verfahren, Umfang der gebundenen Mittel. Ergänzend kommen auch hier spezifische Verfahren zum Einsatz. So liegt der Fokus des eher auf inkrementelle Innovation ausgerichteten Betrieblichen Vorschlagswesens im Wesentlichen auf der Administration.
Die folgende Grafik ordnet die die im Text genannten Methoden den einzelnen Prozessschritten zu.
Quelle: ADP AG
Und los geht’s
Die aufgezeigten und noch weitere selbst gewählte Kriterien bringen doch gleich viel mehr Licht in den zunächst undurchdringlich erscheinenden Wald der Innovationsmethoden. Die Chancen eine für seine Unternehmung geeignete Methode zu finden steigen mit der Anwendung zielführender Kriterien deutlich. Nützliche Methoden erleichtern den Aufbruch und Weg in ein innovatives Zeitalter. Bevor man sich aber nun allzu euphorisch an die Auswahl einer Innovationsmethode macht, sollte man sich noch zu zwei Punkten im Klaren sein.
Erstens hat unsere Umfrage gezeigt, dass auch eine fehlende Innovationskultur in 48 Prozent der Fälle und eine zu geringe Motivation in Folge guter Auftragslage in 43 Prozent der Fälle als Innovationshemmnisse verantwortlich gemacht werden. Sollte das der Fall sein, dann verhilft auch die perfekte Methode nicht zu vermehrter oder zielgerichteterer Innovation. Das meiste Potenzial steckt in diesen Fällen in einem Bewusstseinswandel. Dieser sollte dann begleitend zur Einführung einer geeigneten Methode angegangen und bewirkt werden.
Und zweitens gilt «Probieren geht über Studieren» auch für das Innovieren. Starten Sie mit einer einfachen Methode. Damit können Sie erste Ergebnisse erzielen und dann methodisch nachbessern, wo nötig. Das Perfektionieren kann in eine zweite oder dritte Phase der Einführung einer Innovationsmethode verschoben werden.
Sie möchten die Diskussion zu Innovationsmethoden vertiefen oder haben Fragen? Dann wenden Sie sich an den Autor oder ein Mitglied der Fachgruppe Innovation der swissICT. Wir freuen uns auf Ihren Kontakt.
Teaser Bild: kvalifik / Unsplash
Autor: Dr. Harald Bader ist Partner der ADP AG, einem Firmen Mitglied von swissICT, und Mitglied der Fachgruppe Innovation der swissICT. Als Projektleiter, Epic Owner und Product Manager stehen innovative Lösungen für Dr. Harald Bader im Zentrum seiner beruflichen Tätigkeit. Neuartige Produktideen und Verfahren zu finden, zu evaluieren und zur Einsatzreife zu bringen sind ein wesentlicher Erfolgsfaktor seiner Tätigkeit.