3. Juni 2020
Welche Innovationen benötigen wir?

Haben Sie sich mal überlegt, welche Trends Ihr Leben wie beeinflussen und was dabei die Herausforderungen sind? Oder welche Innovationen Sie privat und in Ihrem Geschäft nutzen? Was sind Trends, und führen sie zu einem Paradigmenwechsel, der unsere Gesellschaft weiterbringt?
Umfrage der Fachgruppe Innovation. Danke für Ihre Teilnahme!
Trends besser verstehen und einordnen zu können ist der erste Schritt, um Innovationen effektiv anzustossen. Die Trendforschung beschreibt aufgrund einer Reihe von qualitativen und quantitativen Methoden Veränderungen und Strömungen in allen Bereichen der Gesellschaft. Dabei sind statistische sozioökonomische Daten ebenso wichtig wie Umfragen.
Von Megatrends zu Makrotrends
Megatrends sind vielfältig, komplex, vernetzt und wirken global, langfristig und tiefgreifend. Es sind allumfassende transformative Kräfte, die die gesellschaftliche Entwicklung und die Weltwirtschaft nachhaltig beeinflussen. Der Forscher John Naisbitt erklärte 1982 in seinem Buch «Megatrends» zehn Richtungen, in welche sich die Welt in den kommenden Jahren verändern werde. Die meisten haben sich bewahrheitet.
- Auf dem Weg von einer Industrie- zu einer Informationsgesellschaft
- Je höher die Technologie, desto höher das Kontaktbedürfnis
- Von der Nationalökonomie zur Weltwirtschaft
- Von kurzfristig zu langfristig
- Von der Zentralisation zur Dezentralisation
- Von der institutionalisierten Amtshilfe zur Selbsthilfe
- Von der repräsentativen zur partizipatorischen Demokratie
- Von Hierarchien zu Verbundenheit, Verflechtung und gegenseitiger Abhängigkeit
- Von Norden nach Süden
- Von Entweder-oder zur multiplen Option
Megatrends werden heute von allen namhaften Beratungsfirmen, Thinktanks und Universitäten gesucht und definiert. Zusammengefasst sind die zentralen Treiber für die nächsten zehn Jahre folgende:
- Globalisierung
- Urbanisierung
- Demokratischer und sozialer Wandel
- Klimawandel und Ressourcenknappheit
- Technologisierung
- Globale Vernetzung
Davon ableiten können wir Makrotrends, die in einem Zeithorizont von fünf bis zehn Jahren Innovationen anregen und Geschäftsmodelle neu definieren. Beispielsweise beschreibt der Makrotrend «Predictive Analytics» die datenbasierte Auswertung und Vorausberechnung eines Nutzerverhaltens mithilfe von Machine Learning. Die Fortschritte im Bereich der künstlichen Intelligenz (KI), insbesondere hinsichtlich semantischer Auswertungen und Datenanalysen, helfen präzise Aussagen aus historischen Daten abzuleiten.
Wird dieses prädiktive Modell auf aktuelle Daten angewendet, so kann die Wahrscheinlichkeit zukünftiger Kundenwünsche vorausgesagt werden. Es kann also ein Produkt für ein Bedürfnis entwickelt werden, welches noch nicht existiert. Brechen wir den Makrotrend «Predictive Analytics» auf, können wir spezifische Mikrotrends wie beispielsweise «Hyper-Personalisierung» herleiten. Verschiedene Daten eines Konsumenten werden in die Wertschöpfung einer Dienstleistung integriert, wodurch eine passgenaue Bedürfnisbefriedigung in der aktuellen und zukünftigen Situation eines Konsumenten möglich ist.
Ich gehe davon aus, dass Sie als swissICT Mitglied davon überzeugt sind, dass der Einsatz von Technologien weiter an Bedeutung gewinnen wird. Das Beratungsunternehmen Accenture hat einen neuen Makrotrend unter DARQ zusammengefasst. Demzufolge sind Distributed-Ledger-Technologie, Artificial Intelligence, Extended Reality (Augmented und Virtual Reality) und Quantum Computing die Katalysatoren für radikale Veränderungen und neue Geschäftsmöglichkeiten. Ich bin überzeugt, dass diese Technologien in Zukunft die nächste Quelle für Differenzierung und disruptive Geschäftsmodelle sein werden und Unternehmen lernen müssen, DARQ gezielt einzusetzen.
Open Innovation
Der Erfolg hängt aber nicht nur davon ab, welche Technologien adaptiert werden, sondern vor allem auch davon, in welchem Rahmen, sprich innerhalb welcher Organisationsform innoviert wird. Seit zwanzig Jahren beschäftige ich mich mit Open Innovation: Der Ansatz zur Öffnung des Innovationsprozesses für Firmen ausserhalb der Organisation wurde im Silicon Valley von Professor Henry Chesbrough im Hightech-Sektor untersucht. Demzufolge begünstigt das zusätzliche Wissen, welches von Drittfirmen in die Forschung und Entwicklung fliesst, nicht nur die Qualität und Geschwindigkeit der Produkt- und Dienstleistungsentwicklung, sondern öffnet neben internen Vertriebskanälen auch externe Vermarktungsmöglichkeiten. Es gibt viele Anwendungsbeispiele, die auf Open Innovation aufbauen. Crowdsourcing bedient sich bei Open Innovation ebenso wie die Open-Source-Entwicklung.
Open Innovation wird auch in der Finanzbranche angewandt, wobei Institute eigene und Produkte von anderen Firmen – auch von Konkurrenten – anbieten. Diese Partnerschaftskonzepte für den Vertrieb von fremden Innovationen habe ich bei Banken bereits 2002 im Rahmen meiner Doktorarbeit untersucht. Allerdings dauerte es noch einige Jahre, bis Open Architecture zu einem De-facto-Standard in der Finanzbranche wurde. Durch diesen Ansatz erzielen Anbieter von Finanzprodukten eine unabhängigere Beratung und bessere Kundenakzeptanz. Auch Open Banking basiert auf diesem Ansatz. Die Kundenschnittstelle wird geöffnet und für Drittapplikationen zugänglich gemacht. Sogenannte Anwendungs-Programmierschnittstellen (APIs) erweitern die Wertschöpfung über Unternehmensgrenzen hinweg.
In einer digitalen Welt ist Open Innovation ein wichtiger Grundsatz für Partnerschaften. Was einerseits neue Konstellationen der Zusammenarbeit fördert, greift andererseits autarke, nach aussen verschlossene Geschäftsmodelle an.
Organisationale Ambidextrie
Vor zwei Jahren war von mir in der NZZ zu lesen, dass Trends Treiber des Wandels darstellen und im Speziellen der Digitalisierung eine wichtige Rolle für den Fortschritt in einer komplexen und modernen Welt zukommt. Digitalisierung ist Pflicht. Allerdings entstehen durch digitale Innovationen keine neuen Märkte. Um wettbewerbsfähig zu bleiben, müssen Schweizer Firmen Technologie, Innovation, Investition (Kreditfinanzierung und Beteiligungsfinanzierung) und Inkubation aufeinander abstimmen. Dabei ist es wichtig, die Balance zwischen widersprüchlichen Organisationsprinzipien wie Flexibilität und Kontrolle oder Innovation und Effizienz zu finden. Wie kann aber das Kerngeschäft kontrolliert und optimiert werden und können durch das Aufbrechen von Silos disruptive Geschäftsmodelle für die Zukunft entwickelt werden?
Alte Strukturen muss man irgendwann verlassen, um neue Lösungen zu finden, wie der Ökonom Joseph Schumpeter mit «Creative Destruction» bereits erklärte. Oft basieren traditionelle Geschäftsmodelle auf altertümlichen Strukturen, und solange diese noch Gewinn abwerfen oder die Unternehmung quersubventionieren, können sie schwer ersetzt werden. Mit Ambidextrie, was so viel bedeutet wie Beidhändigkeit, können gleichzeitig mehrere Ziele verfolgt werden. In unserem Beispiel kann so die Organisation offen, kreativ, anpassungsfähig und agil geführt und die effiziente Abwicklung gewährleistet werden. Organisationale Ambidextrie wirkt sich auch positiv auf den Wissenstransfer, die Unternehmenskultur und schlussendlich Innovationsfähigkeit aus. Der Weg zur ambidextren Organisation ist ein Prozess und heisst digitale Transformation.
Wie innovieren?
Ständige Strategieanpassungen und immer kürzer werdende Produktlebenszyklen verlangen eine flexiblere Handhabung von Projekten. In einer dynamischen Umgebung benötigt man bestimmt agile Coaches und Scrum Master für die Umsetzung. Dass aber wirklich aussergewöhnliche Ideen mit Design-Thinking zustande kommen, bezweifle ich. Es gibt genügend Beispiele, die darauf hinweisen, dass visionäre Firmengründer ihre besten Ideen allein unter der Dusche fanden. Scott Barry Kaufman, Psychologie-Professor an der Universität von Pennsylvania und Autor des Buchs «Wired to Create», hat dies sogar wissenschaftlich mit einer multinationalen Studie belegt und festgestellt, dass mehr als zwei Drittel aller getesteten Personen kreative Ideen unter der Dusche hatten.
Ein Grund ist, dass beim Sport, beim Musikhören oder eben unter einer warmen Dusche am meisten Dopamine – ein Neurotransmitter für Kreativität – ausgeschüttet werden. Ich könnte neben Steve Jobs, Bill Gates, Michael Dell, Larry Ellison, Hasso Plattner, Jack Ma, Elon Musk, Jeff Bezos, Jan Koum, Brian Acton, Travis Kalanick, Larry Page, Mark Zuckerberg Hunderte weitere Visionäre aufzählen, die keine ihrer bahnbrechenden Ideen in einem konstruierten Setting fanden.
Im Rahmen eines strukturierten Innovationsmanagements können die Chancen und Risiken von Trends bewertet und Rahmenbedingungen geschaffen werden, innerhalb deren die Organisation neue Ideen finden und umsetzen kann – die eigentlichen Ideen disruptiver Geschäftsmodelle entstehen allerdings woanders.
Wissen aufbauen
Viele innovative Services und Herangehensweisen sind nicht ausgereift. Für KMUs und auch Grosskonzerne führt allerdings kein Weg an Innovation vorbei, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Um Innovationen zu begünstigen, braucht es eine offene Innovationskultur und parallele Strategien, welche das Ausnutzen von Bestehendem und das Erkunden von Neuem zulassen. Dieses Dilemma kann gelöst werden, indem die Produktion von Innovation getrennt wird. Eine Auslagerung in eine eigenständige Einheit bietet sich oft an. Denn eines ist sicher, diejenigen, die in alten Denkmustern, Arbeitsweisen und Strukturen verharren, werden in Zukunft weder effizient noch effektiv arbeiten können.
Wie viel Innovation eine Unternehmung braucht und welche Innovationen zum grossen Erfolg führen, kann ich Ihnen pauschal nicht sagen. Der Innovationsprozess ist eine Reise mit vielen Facetten. Vieles deutet aber darauf hin, dass vor allem die ICT beherrscht werden muss. Denn innovative Geschäftsmodelle nutzen zunehmend DARQ-Technologien und basieren auf einer digitalen Plattform, welche den Zugang zu einem branchenübergreifenden Ecosystem herstellt. Kundenbedürfnisse werden im Rahmen einer gemeinschaftlichen Wertschöpfung von verschiedenen Akteuren befriedigt. Da sich die Kundenreise so automatisch über verschiedene wertgenerierende Firmen ausdehnt, werden alle Branchen von der digitalen Transformation betroffen sein.
Um Unternehmen gezielt mit Fach-Know-how im Bereich Innovation zu unterstützen, hat die swissICT Fachgruppe Innovation einen Fragebogen erstellt. Füllen Sie diesen aus und gestalten Sie das Angebot der Fachgruppe mit!
Umfrage der Fachgruppe Innovation. Danke für Ihre Teilnahme!
Foto: Unsplash.com / Ramón Salinero
Autor: Dr. Daniel Fasnacht ist ein Vordenker von Open Innovation und Ecosystems, Autor von dem bei Springer erschienenen Buch «Open Innovation Ecosystems» und Verfasser zahlreicher Artikel. Er ist CEO und Gründer der Strategieberatungsfirma EcosystemPartners AG und Berater beim Business Engineering Institute St. Gallen. Er leitet bei swissICT die Fachgruppe Innovation.