15. April 2019

«Digitalisierung?! – Ein Themenwechsel ist nötig, auch für die Psyche»

Die swissICT Redaktion hat den SRF3-Haussatiriker und Psychoanalytiker Peter Schneider mit den heisstesten Fragen rund um die Digitalisierung konfrontiert.

Was glauben Sie, brauchen uns die Computer beziehungsweise die künstliche Intelligenz in den nächsten Dekaden noch? 

Peter Schneider: Wenn Sie so konkret fragen, kann ich eigentlich nur antworten: Weiss ich? Bin ich Mike Shiva? Was ich jedoch mit mehr Bestimmtheit sagen kann, ist, dass eine Voraussetzung in all diesen Fragen wahrscheinlich falsch und unrealistisch, nämlich die, dass es ein WIR – von uns Menschen – und ein DIE – von Computern und deren künstlicher Intelligenz – gibt. Es wird vielmehr, wie sie sagen, eine «durchwachsene» Zukunft.

Wer duldet und gefährdet wen und wie in Zukunft? Braucht unsere Psyche einen «Themenwechsel», um es in Ihren satirischen Worten am Radio zu benennen? Haben Sie gar den Rat eines «Besserwissers» auf Lager?

Allenfalls den Rat, hinsichtlich der Entwicklung der KI nicht in diesem DIE vs. WIR zu denken. Foucault hat meines Erachtens zur Genüge gezeigt, dass die Macht, mit der wir zu tun haben, nicht vor allem eine Zentralmacht ist, sondern im Plural gedacht werden muss: als dezentrale Machteffekte, die keineswegs immer in eine Richtung wirken und die den Subjekten nicht äusserlich sind, sondern durch sie hindurch wirken. Insofern braucht die Psychologie tatsächlich den einen oder anderen Themenwechsel, zum Beispiel in den Modellen, in denen menschliche Psyche und politische Utopien gedacht werden. Donna Haraway hat mit ihrem «Cyborg Manifesto» von 1985 einen Anstoss dazu gegeben. Dort schreibt sie, dass das Bild des Cyborgs uns einen Ausweg aus dem Irrgarten der Dualismen weisen könnten, in dem wir uns unseren Körper und unsere Werkzeuge erklärt hätte.

Wie weit kann der Mensch überhaupt einem nicht menschlichen Individuum vertrauen? Zum Beispiel uns beratende Bots oder uns pflegende Roboter?

Wir werden neue Standards für Vertrauen und Misstrauen entwickeln, neue Vorstellungen darüber, was eine Täuschung und was «echt» ist. Schon heute vertrauen wir ja zum Beispiel der Navigationssoftware und haben dennoch eine Vorstellung davon, wann wir ihr besser misstrauen. Es gibt ja nicht eine Essenz der menschlichen Psyche, die ahistorisch und somit unveränderbar ist.

In einer brillanten Ansprache zur Eröffnung der Ausstellung «Fake» im Stapferhaus Lenzburg von Bundeskanzler Walter Thurnherr Ende 2018 wurde einmal mehr die Macht und Gefahren der Systemgläubigkeit und von «Fake-News» verdeutlicht. Wie und durch wen oder was wird das Vertrauen der Misstrauensgesellschaft in die Technologie und Digitalisierung wieder hergestellt?

Täuschungen, die durch neue Techniken produziert werden, können im Prinzip auch durch diese Techniken aufgespürt werden. Zu Recht vertrauen wir einem Bild, also etwas, das wir mit eigenen Augen gesehen haben, nicht mehr wie wir ihm noch vor fünfzig Jahren vertraut haben. Wir brauchen nicht eine einzige Instanz, die uns erklärt, was vertrauenwürdig ist und was nicht, sondern neue Techniken und neue Kriterien.

Viele Menschen leben zunehmend in und mit Social Media. Wie viele Freunde und «Mikroverletzungen» durch diese «Angst», etwas zu verpassen, kann unsere Psyche eigentlich bewältigen?

Da gibt es keine anthropologisch vorgegebene Zahl. Kritisch wird es für uns immer dann, wenn wir Neues allein durch die Brille des Alten sehen. Und Freunde bei Facebook nur als defizitäre «richtige» Freunde interpretieren.

In einer Leistungsgesellschaft, zusätzlich auch angetrieben durch den Challenge mit den Computern und Roboter, definieren sich immer mehr Menschen mit ihrem Tun und weniger mit ihrem Sein. Wo bleibt der Mensch im Mensch?

Es gibt keinen eigentlichen Menschen. Es gibt nur eine Geschichte des Menschen und seiner Weise sozial zu sein.

Wie könnte man den Kampf zwischen Mensch und Maschine satirisch oder gar zynisch auswerten? Oder ist bald «fertig mit lustig»?

Man wird sich auf neuartige Kampfformen einstellen und sich in diese einüben müssen – wobei es eben kein Kampf der Roboter gegen die echten Menschen sein wird, sondern Auseinandersetzungen von denen wir noch nicht wissen, wie sie aussehen werden.

Die Digitalisierung ist geprägt von disruptiven Chancen und gleichzeitig komplexen Herausforderungen. Was kann zu einer ausgeglicheren Wertigkeit zwischen Mensch und Maschine führen? Oder sehen Sie sich hier als «Anti-Experte» gemäss einer der neueren «Sternstunde Philosophie» Sendung auf SRF?

Mensch und Maschine haben sich zunehmend hybridisiert und dieser Prozess des «Durchwachsens» wird sich fortsetzen. Als Anti-Experte kann ich nur davor warnen, sich zukünftigen Widerstand, zukünftigen Protest in nostalgischen Modellen und Mustern vorzustellen – so wie das Kochtopf-Klappern am Weltfrauentag.

Laut Gartner ist digitale Ethik und Privacy ein strategischer Trend für 2019. Sind das weitere Zeichen und Massnahmen gegen das Misstrauen in die Technologie?

Ja. Und hilflose Versuche der Kompensation. Digitale Ethik ist schon in dem Moment veraltet, weil sie hoffnungslos dem hinterherhinkt, was sie regulieren möchte.

Wir hoffen ja, dass wir trotz allem auch in Zukunft wichtige Entscheidungen selbst fällen können. Ist der Mensch genügend vorbereitet, um Vorschläge und Entscheide von Bots oder Künstlicher Intelligenz zu werten und zu verantworten? Übersteigt die Komplexität unser geistiges Potential? Macht Sie das Denken über solche Themen gar traurig?

Wie schon gesagt: Wer soll denn dieses «Wir» als Ansammlung von «Ichs» sein, die selber entscheiden möchten und auch autonom entscheiden können – ganz aus sich selbst heraus. Ein solches Monaden-Ich ist immer schon eine Illusion gewesen. Und zwar erstens hinsichtlich der Macht des Ichs und zweitens hinsichtlich der Unhintergehbarkeit des Sozialen. Und nicht nur die Ichs, sondern auch das Soziale werden immer offensichtlicher technikdurchwachsene Angelegenheiten. Und darüber Nachdenken macht nicht primär traurig.

Foto: Dominique Meienberg

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