30. April 2025
Hyperdigitalisierung: Technologie allein reicht nicht

Die sogenannte Hyperdigitalisierung und Hyperautomation sind Prozesse, die die Art und Weise wie wir arbeiten, leben und interagieren, grundlegend verändern. Diese tiefgreifende Transformation beruht nicht nur auf einzelnen technologischen Fortschritten, sondern auf einem komplexen Zusammenspiel mehrerer Schlüsselkomponenten. Um diesen Wandel erfolgreich zu gestalten, sind mindestens fünf wesentliche Bausteine erforderlich: Chips, Energie, Daten, Talente und KI-Modelle.
Chips sind das Herzstück jeder digitalen Anwendung. Hochleistungsfähige Prozessoren und GPUs ermöglichen die Verarbeitung grosser Datenmengen und KI-Modelle in Echtzeit. Unternehmen investieren zunehmend in die Entwicklung und Optimierung dieser Hardware, um die Effizienz und Geschwindigkeit ihrer Systeme zu verbessern. Ein Beispiel hierfür ist die Zusammenarbeit von Startups und etablierten Technologieunternehmen, um innovative und zunehmend effizienz optimierte Lösungen zu entwickeln und auf den Markt zu bringen.
Energie ist ein weiterer kritischer Faktor. Digitale Systeme und speziell KI-Modelle benötigen enorme Mengen an Strom, um ihre komplexen Berechnungen durchzuführen. Es wird geschätzt, dass nur schon z.B. ChatGPT täglich den Stromverbrauch von etwa 35’000 US-Haushalten benötigt, was etwa 1 GWh entspricht.
Daher ist es entscheidend, nachhaltige und effiziente Energiequellen zu nutzen, um die Umweltbelastung zu minimieren und die Betriebskosten zu senken zugunsten auch der Rentabilität in der Gesamtbilanz.
Daten sind das Rohmaterial («Goldmine im eigenen Vorgarten») der digitalen Transformation. Ohne möglichst gut und kontextbasiert strukturierte, qualitativ hochwertige und umfangreiche Datensätze können Modelle nicht effektiv trainiert und ausgenutzt werden. Unternehmen müssen sicherstellen, dass ihre Daten korrekt, kontextpassend, aktuell und gut strukturiert sind. Datenschutz und Datensicherheit spielen hierbei eine zentrale Rolle, um das Vertrauen der Nutzer:innen zu gewinnen und gesetzliche Anforderungen zu erfüllen.
Talente sind die treibende Kraft hinter jeder erfolgreichen digitalen Initiative. Fachkräfte mit tiefem Wissen in Bereichen wie z.B. KI-Anwendungen mit dem richtigen «Toolset» bis hin zu Business Engineering, Data Science, Machine Learning und Softwareentwicklung sind unerlässlich. Unternehmen müssen in die Ausbildung und Weiterbildung ihrer Mitarbeitenden investieren, um die nötigen Fähigkeiten und Kenntnisse in deren «Skillset» zu fördern. Programme wie z.B. Champions-Programm und Zertifizierungen in Bereichen wie z.B. «Low Coding» / «No Coding» / «Automatisierung» können dabei helfen, die Kompetenzen der Mitarbeitenden zu erweitern und ihre Motivation zu steigern in einem neu ausgerichteten «Mindset» der gesamten Organisation.
KI-Modelle sind sozusagen die Werkzeuge bzw. digitalen Schaufeln / Dampfmaschinen / Motoren, die die Hyperdigitalisierung vorantreiben. Sie ermöglichen es, mitunter auch unerkannte Muster in grossen Datenmengen zu erkennen, umfassendere Vergangenheiten abzubilden, optimierte Vorhersagen zu unterstützen und erweiterte Entscheidungsgrundlagen zu optimieren und gar zu automatisieren. Unternehmen müssen sicherstellen, dass ihre angewandten KI-Tools oder gar eigenen KI-Modelle sicher, robust, transparent und ethisch vertretbar sind. Die Integration von KI-Modellen in Geschäftsprozesse kann zu erheblichen Effizienzsteigerungen und Innovationen führen.
Mehr als nur «Fish and Chips»
Zusammengefasst sind Chips, Energie, Daten, Talente und KI-Modelle die fünf Säulen, auf denen die Zukunft der Hyperdigitalisierung basiert. Unternehmen, die diese Komponenten effektiv nutzen und intelligent miteinander verknüpfen und orchestrieren, werden in der Lage sein, innovative Lösungen zu entwickeln, bessere Entscheidungen zu treffen und ihre Wettbewerbsfähigkeit zu steigern und letztlich auch die «digitale Kundennähe» zu optimieren.
Und trotzdem / zum Glück: Wer die digitale und «reale» Welt beherrschen will, muss sie zuerst «real» begreifen
Die Weiterentwicklung der Künstlichen Intelligenz (KI) in Richtung Artificial General Intelligence (AGI) ist ein faszinierender und zugleich herausfordernder Prozess. AGI zielt in den Grundsätzen darauf ab, eine KI zu schaffen, die in der Lage ist, jede intellektuelle Aufgabe autonom und gar besser/effizienter zu bewältigen, die ein Mensch ausführen kann. Der Weg dorthin erfordert die erweiterte Integration und Weiterentwicklung verschiedener Technologien wie Robotik, Sensorik, Haptik und «Computer Vision», welche der KI die dafür relevanten erweiterten Sinne wie Sehen, Hören, Riechen, Schmecken, Tasten, Gleichgewicht und auch gar Tiefensinn im Erleben des eigenen Körpers und Lebens vermittelt.
Also viel mehr als nur eine mögliche Analogie zu «Wer nicht hören will, muss fühlen»: Die KI kann uns schon lange hören bzw. lesen (z.B. gesamtes Weltwissen), jedoch ist sie immer noch am (Be)greifen und Sehen lernen – sei es durch Computer Vision, haptische Sensoren, Robotik oder multimodale Modelle, die versuchen, die Welt nicht nur zu interpretieren, sondern auch kontextuell zu verstehen und sinnvoll darauf zu reagieren.
Sensorik generell und die Robotik speziell spielen zentrale Rollen bei der physischen Interaktion von KI-Systemen mit der realen Welt. Fortschritte in der Robotik ermöglichen es Maschinen, komplexe Aufgaben zu übernehmen, die bisher nur Menschen vorbehalten waren. Sensorik und Haptik sind entscheidend, um Maschinen ein besseres Verständnis ihrer Umgebung und die Fähigkeit zur feinfühligen Interaktion zu verleihen. Computer-Vision ermöglicht es KI-Systemen, visuelle Informationen zu interpretieren und darauf zu reagieren, was für viele Anwendungen von entscheidender Bedeutung ist.
Diese Technologien befinden sich derzeit in einer rasanten Weiterentwicklung und treiben die nächste Evolutionsstufe der KI voran. Ein bemerkenswerter Treiber dieser Entwicklung ist auch z.B. der sogenannte «Sputnik-Effekt durch DeepSeek aus China» Mitte Januar 2025. Dieser Effekt beschreibt den plötzlichen und intensiven Innovationsschub, der durch bahnbrechende technologische Fortschritte ausgelöst wird. DeepSeek hat durch seine revolutionären, mitunter auch mittlerweile wieder relativierten Ansätze in der KI-Forschung und -Anwendung weltweit für Aufsehen gesorgt und den Wettbewerb um die Vorherrschaft in der KI-Technologie weiter angeheizt.
Quantensprünge und Quantencomputing
Die weitere Kombination dieser Technologien und der damit verbundenen Fortschritte bis hin zu regelrechten «Quantensprüngen» (auch das «Quantencomputing» wartet mit mehr als einem «Knüppel bewaffnet» um die Ecke auf uns …) bringt uns der sogenannten Singularität näher – dem Punkt, an dem KI-Systeme die menschliche Intelligenz übertreffen und vor allem eigenständig weiterentwickeln können. Diese Entwicklung birgt sowohl enorme Chancen als auch Herausforderungen, die es zu bewältigen oder gar adäquat zu regulieren gilt.
Sorgen müssen wir uns nicht machen über die Weiterentwicklung der Technologie und speziell der KI, sondern über deren Anwender:innen (auch Staaten, Cybercrime, Terrorismus, Desinformation), die diese Technologie nutzen und auch gezielt gegen die Menschen und Organisationen verwenden.
Der «Kill Switch»: Vom Science-Fiction-Witz zur echten Sicherheitsfrage?
Ein interessanter Aspekt dieser Entwicklung ist auch der sogenannte «Kill Switch» – eine Notfallabschaltung für KI-Systeme, die bislang oft als Gag oder Science-Fiction-Witz behandelt wurde.
Doch mit dem Fortschritt in Richtung autonomer, selbstlernender Systeme, insbesondere im Zusammenhang mit Quantencomputing und der möglichen Singularität, könnte ein «Kill Switch» auf Hardware- oder Softwareebene tatsächlich eine notwendige Sicherheitsmassnahme werden. Während heutige KI-Modelle noch klar kontrollierbar sind, könnten zukünftige Systeme, die sich eigenständig weiterentwickeln, schwerer vorhersehbar oder regulierbar sein. Ein «Kill Switch Engineer», also eine spezialisierte Rolle/Mechanismus zur Implementierung solcher regel- oder ereignisbasierten Abschaltmechanismen, könnte in der KI-Sicherheitsforschung eine essenzielle Funktion übernehmen – vergleichbar mit Failsafe-/Failback-Systemen in Atomkraftwerken oder Flugzeugsteuerungen.
Spannend bleibt, ob der «Kill Switch» letztlich nur eine psychologische Beruhigungsmassnahme oder ein notwendiges Kontrollinstrument wird. Was jedoch sehr wahrscheinlich ein Thema wird, ist eine neue Fach-Spezialisierung in Richtung eines sogenannten JRE «Junkware Removal Engineer» im Rahmen des Qualitätsmanagements. Mit neu spezialisiertem Fachwissen, unerwünschte oder sicherheits- und compliance-technisch gefährliche Codes und Funktionen in Apps, Codes, Prompts, Automatisierungen und Agents zu erkennen, zu optimieren oder zu entfernen. Dies auch speziell wegen der zunehmend tätigen Powerusers, welche mittels «No Code» / «Low Code»-Ansätzen solche Funktionen mitentwickeln, zu Beginn ohne vertiefte Programmier-Kenntnisse und Erfahrungen in Datenschutz, Datensicherheit und Compliance-Vorgaben im Rahmen des ICT-Riskmanagements.
Zum Autor
Fridel Rickenbacher ist ehemaliger Mitgründer, Co-CEO, Partner, Verwaltungsrat und nun beteiligter «Unternehmer im Unternehmen»/«Senior Consultant» bei der Swiss IT Security AG/Swiss IT Security Group. Auf Bundesebene ist er als Experte und Akteur vertreten bei «Digital Dialog Schweiz» + «Nationale Strategie zum Schutz der Schweiz vor Cyber-Risiken NCS». Er ist in seiner Mission «sh@re to evolve» seit Jahren als Redaktionsmitglied, Experten-Gruppen- und Verbands-Aktivist tätig bei z. B. SwissICT, s-i.ch, isss.ch, isaca.ch, bauen-digital.ch rund um Digitalisierung, Engineering, Clouds, ICT-Architektur, Security, Privacy, Datenschutz, Audit, Compliance, Controlling, Information Ethics, in entsprechenden Gesetzes-Vernehmlassungen und auch in Aus- und Weiterbildung (CAS, eidg. dipl.).