27. November 2024
«Agile» zwischen Kritik und Zukunft
Ist «Agile» am Ende oder an einem Wendepunkt?
Timo Bezjak: Diese Frage werden wir am ersten Agile Breakfast im 2025 aufwerfen, um eine gemeinsame Antwort darauf zu erarbeiten. Viele Unternehmen haben bemerkt, dass das, was unter der Etikette «Agile» gemeinhin so verkauft wird, ihre Organisationen keineswegs agiler macht, also handlungsfähiger und anpassungsbereiter. Die Verantwortlichen sagen nun zu Recht: Haben wir ausprobiert, funktioniert nicht.
Die grosse Frage ist nun, was sie daraus machen. Die Notwendigkeit neuer Organisationsmodelle geht jedenfalls nicht weg, denn das herkömmliche Managementmodell hat weitläufig die Arbeitsmoral zerstört. Ausserdem sind zentralistische Hierarchien zerbrechlich und teuer im Unterhalt, was sie für kompetitive Umgebungen ungeeignet macht.
Kurz: Der Bedarf nach Agilität bleibt, und einige agile Methoden bieten wirksame Werkzeuge, sie zu entwickeln. «Agile» einzuführen oder «Agile Coaching» werden dagegen zukünftig einen schweren Stand haben.
David Baer: Es lohnt sich zu reflektieren, warum Agilität überhaupt ein Thema wurde. Das was wir heute «Agilität» nennen, war ja das evolutionäre Ergebnis von Vorgehensweisen, die in einer veränderten Situation zu mehr Erfolg führten. Die veränderte Situation bestand aus einer höheren Komplexität, einer schnelleren, exponentiellen Entwicklung, viel Unsicherheit, mehr Marktdruck und viel mehr Wissensarbeit. Dieser Druck ist nicht weniger geworden. Wer diesen Kräften ausgesetzt ist, wird mit traditionellen Methoden nicht erfolgreich sein. In diesem Kontext wird echte Agilität weiterhin ein Wettbewerbsvorteil sein und damit kaum am Ende.
Gut möglich, dass nun die Erkenntnis aufkommt, dass Agilität in Umfeldern eingesetzt wurde, wo es nicht so viel Sinn machte. Meiner Erfahrung nach wurde Agilität auch sehr inkonsequent umgesetzt und hat entsprechend kaum einen Mehrwert geliefert. Um zufriedenstellende Resultate zu erzielen, muss Agilität zielgerichteter und konsequenter eingeführt werden.
Wie hat sich das Agile Breakfast in den letzten Jahren verändert, und was macht es heute für die Community noch unverzichtbar?
Timo Bezjak: Da kann ich vor allem für Zürich sprechen. Wir bemühen uns seit der Pandemie konsequent, Monat für Monat eine Geschichte aus dem wahren Leben zu präsentieren. Am Agile Breakfast Zürich treten keine Berater:innen auf, sondern Community-Mitglieder, die von ihrem Lernen in der Arbeit mit agilen Methoden, Konzepten oder Ansätzen berichten. Dabei kommen Erfolge und Fehlschläge zur Sprache, neue Antworten und oft auch Einblicke in noch offene Fragen.
Das regt dann zum Austausch an, für den wir vor und nach dem Vortrag genügend Zeit einplanen. Die Referent:innen berichten oft, dass sie aus diesen Unterhaltungen selbst wertvolle Anregungen für ihre Arbeit mitnehmen.
«Fast jedes Agile Breakfast Zürich ist mittlerweile ausgebucht.»
David Baer: Das Agile Breakfast Zürich ist viel stärker als früher «von der Community, für die Community». Wir bieten eine Plattform für Anwender:innnen, damit sie sich gegenseitig austauschen. Das Format hat mit dem Durchführungsort im Büro Züri der ZKB in der Innenstadt deutlich an Attraktivität gewonnen – fast jedes Agile Breakfast Zürich ist mittlerweile ausgebucht.
Was bedeutet euch das Agile Breakfast als Plattform für den Austausch über neue Arbeitsweisen, Selbstorganisation und agile Methoden?
David Baer: Es ist eine wertvolle, lebendige Community entstanden, in der sich Stammgäste und Neuankömmlinge regelmässig austauschen und von den vielfältigen Erfahrungen und spannenden Geschichten aus der Praxis profitieren.
Timo Bezjak: Das Agile Breakfast bietet Interessierten und Praktiker:innen eine Plattform für Erfahrungsaustausch. Durch die Durchmischung passiert eine gegenseitige Befruchtung. Feedback von Kolleg:innen, die den eigenen Arbeitsalltag nicht teilen und daher anders geprägt sind, kann sehr erhellend sein. Und manchmal auch entlastend: Die anderen kochen ebenfalls mit Wasser.
Welche neuen Ansätze oder Themen wünscht ihr euch für die agile Community?
Timo Bezjak: Für mich liegt der grundlegende Fehler des herkömmlichen Management-Modells in der Trennung von Denken und Handeln. Diese Trennung ergab vor 150 Jahren viel Sinn, als Ingenieure ungelernte Fabrikarbeiter:innen mit höchstens minimaler Schulbildung anleiteten. Das ist heute anders. Viele Unternehmen und «gute Führungskräfte» reagieren darauf, indem sie etwa die Mitarbeitenden bei Entscheidungen konsultieren und in Verbesserungsprozesse einbeziehen. Doch das ist Mimikry und bewirkt wenig. Ich frage mich: Wenn wir doch im Prinzip verstanden haben, dass «Anweisung und Kontrolle» bei bestens ausgebildeten Fachleuten nicht funktioniert, warum machen wir dann nicht etwas grundsätzlich Besseres? Denn darum geht es der agilen Bewegung.
David Baer: Ich wünsche mir mehr «Back to the Roots». Darunter verstehe ich, dass der Fokus konsequent auf die gewünschten Ergebnisse gelegt wird und man dabei offen für Experimente ist und den Mut hat, notwendige Veränderungen umzusetzen.
Welchen Wunsch für das Agile Breakfast habt ihr?
David Baer: Die grossen «Kassenschlager» an den Agile Breaksfasts sind immer bekannte Schweizer Grossunternehmen wie SBB, Swisscom, Migros, … Ich wünsche mir ein ähnlich grosses Interesse auch bei kleineren und weniger bekannten Organisationen. Gerade bei den «Kleinen» finden häufig spannende Experimente statt, von denen auch die «Grossen» lernen können.
«Bringt eure Geschichten, damit wir gemeinsam voneinander lernen können!»
Timo Bezjak: Einen unserer Wünsche erfüllen wir uns selbst, indem wir das Format vorsichtig weiterentwickeln werden. Wenn ich dann immer noch wünschen darf, sind das weiterhin gut besuchte, anregende Anlässe für eine lebendige Community mit der fabelhaften Unterstützung der swissICT-Geschäftsstelle und des Teams vom Freiraum der ZKB.
Und ein Wunsch von der Community an die Community: Bringt eure Geschichten, damit wir gemeinsam voneinander lernen können!