5. Juli 2019
Beyond Budgeting – wieso, weshalb, warum
Von Klaus Bucka-Lassen
Aktualisiert am 5. August 2019
René Baumann wurde in einem Interview mal gefragt ob es irgendetwas gäbe was er in seinem Leben bereut hat. «Selbstverständlich meinen Künstlernamen» war seine Antwort. Die Chancen stehen gut, dass der Leser gar nicht weiss, wer René Baumann ist, DJ Bobo hingegen wird den meisten ein Begriff sein.
Wenn ich so in die Beyond Budgeting Community hineinhöre, dann nehme ich regelmässig ähnliche Schwingungen wahr. So richtig glücklich sind einige Personen im Beyond Budgeting Netzwerk mit dem Namen nicht wirklich. Im Unterschied zu DJ Bobo, der mit der Namenswahl zumindest marketingmässig wohl eher ein glückliches Händchen hatte, steht der Begriff «Beyond Budgeting» der Bewegung vielleicht sogar ein wenig im Weg.
In den letzten zehn Jahren hat das Interesse an eben diesem Begriff – gemessen an den weltweit getätigten Suchen auf Google – sogar nachgelassen. Wirklich schade, denn Beyond Budgeting ist heute relevanter denn je.
Wenigstens liegt die Schweiz auf dem dritten Platz, nach Norwegen und Dänemark.
Daran dürften unter anderem Bjarte Bogsnes (Norwegen) und Franz Röösli (Schweiz), zwei der fünf Mitglieder aus dem «Core Team» des Beyond Budgeting Roundtables, mit «schuld» sein.
Wer dieses Jahr an der Lean, Agile & Scrum Konferenz in Zürich war, durfte Franz Röösli bereits kennenlernen und erleben (siehe Video-Aufzeichnung).
Bjarte Bogsnes, Vorsitzender dieses «Klubs», kommt im September in die Schweiz, um sowohl die Keynote an der sechsten Agile Unconference als auch einen Kurs zum Thema zu geben. Anlass genug, ein paar Worte über Beyond Budgeting zu verlieren und vielleicht einen Erklärungsversuch zu wagen, warum der Name vielleicht doch nicht so falsch ist.
Wieso «Beyond Budgeting»?
Beyond Budgeting beschäftigt sich nicht ausschliesslich, ja nicht einmal hauptsächlich, mit der Budgetierung, wie es der Name sonst hätte vermuten lassen. Vielmehr ist es die «Command-and-Control» Lehre, welche unter anderem auch Budgets als Werkzeug einsetzt um Mitarbeiter gezielt zu lenken, die an den Pranger gestellt wird.
Ein Budget ist ein finanzielles Kontrollinstrument, das meist viel Geld, Zeit und Aufwand kostet und dessen Nutzen heute eher fragwürdig ist. Es macht Entscheidungsprozesse nicht nur langsam, sondern führt auch oft zu sinnfreiem und regelmässig völlig absurdem Verhalten. Das anscheinend weit verbreitete Phänomen von Militärfahrzeugen, die gegen Ende des Jahres noch tausende von unnötigen zusätzlichen Kilometern fahren, um so Diesel und Benzin zu verbrennen, damit das Brennstoff-Budget des Folgejahres nicht reduziert wird, ist allseits bekannt. Mein Cousin (Schweizer Armee) hat mir erzählt, dass es bei der Munition nicht anders sei. Gegen Ende des Jahres wird geballert das sich die Balken biegen bzw. die Gewehrrohre vor Hitze wortwörtlich rot anlaufen.
Aus diesen und ähnlichen Geschichten lässt sich ableiten, dass Parkinson’s Gesetz (»Arbeit lässt sich wie Gummi dehnen, um die Zeit auszufüllen, die für sie zur Verfügung steht») nicht nur für Arbeit, sondern auch für Budgets zu gelten scheint. Die abgewandelte Form könnte so lauten
«Kosten lassen sich wie Gummi dehnen, um die Budgets auszufüllen, die für sie zur Verfügung stehen.»
Budgets als Endlosschlaufe
Der Schlaue CFO denkt jetzt natürlich «Dann drehe ich das einfach um» und kürzt das Budget Jahr um Jahr, egal ob es in den Vorjahren schön aufgebraucht wurden oder nicht. Nur leider wusste Parkinson schon, dass es umgekehrt nicht immer geht. Man kann so Kosten nicht unbegrenzt reduzieren. Ein Gummiband lässt sich vom Ruhezustand um ein Vielfaches dehnen, aber nicht stauchen. Von daher ist Parkinson’s Vergleich mit dem Gummi sehr passend. Bei der kontinuierlichen Reduktion von Budgets entsteht ab einem gewissen Punkt Druck, der über irgendein Ventil abgelassen werden muss. Ventile gibt es viele. Überzeit, Qualitätsverzicht, Betrug und weitere «Abkürzungen», die mit unseren Werten nicht übereinstimmen und entsprechend zu Stress und Burnout führen.
In einer Bank, nota bene einer der grössten der Schweiz, benötigten wir dringend mehr Speicher für unsere Computer, um überhaupt arbeiten zu können. Das Hardwarebudget für das betreffende Jahr war aber bereits aufgebraucht. Das Softwarebudget nicht, aber das durften wir nicht anzapfen. Schlussendlich haben wir dann zusätzlichen RAM aus der eigenen Tasche bezahlt. Auch ein Ventil. Absurd, oder? Trotzdem sind ähnliche Geschichten Alltag für viele.
Budgets als Ziel
Am Beispiel mit dem Militär erkennt man gut, wie Budgets nicht mehr nur eine Vorhersage dafür sind wieviel Mittel man maximal benötigt, um ein Projekt umzusetzen oder eine Abteilung zu leiten (Mittelzuweisung). Sie sind zusätzlich auch Ziel geworden und liefern als solches auch eine Vorhersage für die Zukunft. Franz Röösli hat das in seiner Keynote an der diesjährigen LAS X gut beschrieben.
Ich habe schon erlebt wie ein hochstehender Projektleiter berichtete, sein Projekt sei «on track» und als Beweis ein Diagramm präsentierte, an dem schön zu erkennen war, dass man genau das bis Datum zur Verfügung stehende Budget aufgebraucht hatte.
2011 haben Jeff und Ken den Scrum Guide angepasst. Aus ihrer Perspektive war eine kleine Wortänderung die wichtigste. Im Planning bestimmt das Team den Umfang an Arbeit, der in den nächsten Sprint gezogen wird. Dies wird seit 8 Jahren nicht mehr als Verpflichtung (commitment) gesehen, sondern als Vorhersage (forecast).
Der Hintergedanke: Wenn das Team sich selber daran misst ob es alle Aufgaben, die es sich in den Sprint gezogen hat, abschliessen kann, dann ist der Plan zum Ziel mutiert. Ein Sprint sollte aber ein höheres Ziel haben und der generierte Wert für die Stakeholder sollte immer im Vordergrund stehen – auch wenn das bedeutet, dass man vom Plan abweichen muss.
Ähnlich sollten Budgets gelebt werden, tun sie aber leider nur selten bis nie.
Beyond Budgeting = Business Agility
«Budgeting» ist in diesem Zusammenhang mehr als Inbegriff und Symbol zu verstehen für die Instrumente, Vorgehensweisen und Denkmuster des sogenannten wissenschaftlichen Managements (Scientific Management), das von Frederic Winslow Taylor 1911 in seinem gleichnamigen Buch vorgestellt wurde und das an den meisten Kaderschmieden noch heute gelehrt und damit auch in den meisten Unternehmen gelebt wird. Zu solchen Instrumenten gehören nebst den jährlichen Budgets auch das Lenken mittels Kennzahlen (KPIs), Bonussysteme, Lenkungsausschüsse, Weisungen und vieles mehr. Man hätte es also auch «Beyond Scientific Management» nennen können. Heute würden die meisten von uns allerdings «Business Agility» sagen und dasselbe meinen.
Beyond Budgeting stellt nicht nur klassische Management-Instrumente in Frage, sondern liefert auch Alternativen.
Rollende Prognose
Bleiben wir vorerst beim Budget. Als Alternative dafür bietet «Beyond Budgeting» die «Rollende Prognose» oder «Rollende Vorhersage», manchmal auch «Rollendes Budget» genannt.
Ähnlich wie Jeff und Ken 2011 haben die Beyond Budgeting Vordenker schon vor langer Zeit realisiert, dass der – wenn auch nur gefühlt – «verpflichtende» Teil aus den Budgets entfernt werden muss, damit diese nicht mehr als Ziel gelebt werden. Konkret bedeutet dies, dass man es eben Prognose nennt und diese regelmässig anpasst, gemäss den neuesten Erkenntnissen und Informationen. Zum Beispiel setzt man sich das Ziel immer eine Prognose für die nächsten 12 Monate (rollend) zu haben und passt diese jeden Monat an. Das gibt allen in der Organisation – nicht nur dem Management – ein gutes Gefühl dafür, wie die Finanzen derzeit aussehen und was für die Zukunft zu erwarten ist.
Das ist aber noch nicht alles und es kann geradezu gefährlich sein, wenn man das nicht versteht. In diesem Artikel «The Rolling Forecasting Trap» (englisch) beschreibt Bjarte Bogsnes gut warum. Kurz gesagt geht es darum, dass heutige Budgets meist drei Bedürfnisse erfüllen. Die Vorhersage der Zukunft, also die oben beschriebene Prognose, ist nur eines davon. Man muss sich aber auch zu den beiden anderen Gedanken machen:
Wenn nicht über ein Budget, wie machen wir dann die Mittelzuweisung und definieren Kostenbeschränkungen?
Wenn nicht über ein Budget, wie setzen wir dann anspruchsvolle Ziele?
Wenn man es verpasst das Ziel über andere Mechanismen zu definieren, dann besteht die Gefahr, dass auch die Prognose wieder zum Ziel wird. Dies beschreiben Franz Röösli und Peter Bunce sehr gut in ihrem Artikel «Gefährliche Doppelnatur von Budgets und ihre Überwindung.»
Individuelle Anreize und Boni
Komplizierte Systeme kann man optimieren indem man sich auf die einzelnen Teile konzentriert und diese individuell verbessert. Komplexe Systeme nicht. Hier führen Veränderungen, die lokal betrachtet eine Verbesserung darstellen, regelmässig sogar zu einer Verschlechterung des ganzen Systems.
Heutige Anreizsysteme und sogenannte variable Lohnanteile zielen meist auf die Optimierung von Teilen des Systems ab. Genau wie bei den Budgets ist der Zweck das gezielte steuern von Mitarbeiter, Teams und Abteilungen, also Teilen der Organisation.
Unternehmen, der Kontext in dem sie operieren und alles um uns herum wird jedoch immer komplexer, nicht komplizierter, also nützt die Optimierung einzelner Teile nichts, ist sogar oft schädlich.
Die Beyond Budgeting Devise zur klassischen Art von Anreizsystemen lautet denn auch. Tue es nicht! Bzw. beteilige alle am Unternehmenserfolg. Systems-Thinking nennt sich das. Da die Unternehmen auch wieder Teil eines grösseren und komplexen Systems sind muss man bei der Definition von Erfolg vorsichtig sein. Svenska Handelsbanken macht es vor. Dort ist Erfolg relativ. Relativ dazu, wie sich die ganze Branche entwickelt. Erfolgsbeteiligung (Handelsbanken verwendet den Begriff «Bonus» bewusst nicht) – und zwar gleich viel für alle Mitarbeiter – sind dann berechtigt, wenn man sich besser schlägt als die Konkurrenz. Vielleicht ein Grund, dass es bei den grösseren Banken vielleicht noch etwas länger dauern wird, bevor sich Beyond Budgeting durchsetzt?
Wie weiter?
Wer mehr über Beyond Budgeting und die Alternativen Werkzeuge hören möchte, wer wissen möchte welche Firmen Beyond Budgeting bereits ein- und umsetzen und mit welchem Erfolg, der liegt mit einer Teilnahme am Beyond Budgeting Kurs mit Bjarte genau richtig. Wir von flowdays helfen diese Jahr auch aktiv mit und haben ein paar interaktive Übungen eingebaut. Man darf gespannt sein!
Autor: Klaus Bucka-Lassen
Bild: Auf dem Bild ist Franz Röösli zu sehen, anlässlich seiner Keynote an der Lean, Agile & Scrum Konferenz 2019. Die Aufnahme stammt von Sandra Blaser.
Disclaimer: Dieser Beitrag erschien erstmals auf der Website von Flowdays, einem Mitglied von swissICT. Die Veröffentlichung auf der Website von swissICT entstand im Rahmen der Unterstützung der Agile Unconference durch swissICT.