5. Mai 2022

Dieses Missverständnis lässt New-Work-Projekte scheitern

Dass sich die Arbeitswelt verändert, ist unbestritten. Die richtige Reaktion darauf ist aber weder eine planlose New-Work-Initiative noch ein Home-Office-Reglement.

Ich wette, dass in mehr als der Hälfte der swissICT-Mitgliedsfirmen aktuell ein Projekt läuft, welches «New Work» im Titel trägt. Beschleunigt durch die Pandemie haben die allermeisten Organisationen realisiert, dass sich die Arbeitswelt verändert. New Work ist dabei zu einem Sammelbegriff für alle möglichen Initiativen geworden. Leider schadet genau dies der eigentlich positiven Entwicklung. Doch der Reihe nach.

Die Arbeitswelt verändert sich nicht erst seit oder während der Pandemie. Die Treiber dahinter sind schon seit Jahren bekannt:

  • Arbeitnehmermarkt: Der demografische Wandel und die ständig steigenden Anforderungen in vielen Tätigkeiten führen zum viel beklagten Fachkräftemangel. Damit sind die Arbeitnehmenden am längeren Hebel und diktieren ihre Bedingungen. Die Wechselbereitschaft ist entsprechend hoch, sobald die Rahmenbedingungen nicht mehr stimmen.
  • Technologischer Fortschritt: Vor allem die Digitalisierung ermöglicht vermehrt orts- und zeitunabhängiges Arbeiten. Gleichzeitig nehmen die Arbeitsteilung und die Vernetzung zu.
  • Wissensarbeit: Der technologische Fortschritt und insbesondere die Automation führen dazu, dass einfache Tätigkeiten verschwinden und neue Jobs vor allem im Bereich der Wissensarbeit entstehen.
  • Wertewandel: Die protestantische Arbeitsethik mit dem Ziel einer lebenslangen Anstellung und einem sicheren Einkommen gehört der Vergangenheit an. Für jüngere Generationen muss Arbeit heute eine hohe Sinnhaftigkeit aufweisen. Die Loyalität gehört nicht mehr einem Arbeitgeber, sondern einem temporären Projekt.

Willkommen beim River Rafting!

Diese vier Treiber verstärken sich gegenseitig, was zu einer exponentiellen Entwicklung führt. Glich die Arbeitswelt bis vor ein paar Jahren eher noch einem gleichmässigen Rudern auf dem glatten See, befinden wir uns nun auf einer rasanten Wildwasserfahrt. Es gibt nicht mehr den zentralen Steuermann und alle rudern im gleichen Takt. Vielmehr helfen alle mit, Stromschnellen auszuweichen und das Boot sicher ans Ziel zu bringen.

Entsprechend wollen auch alle Unternehmen derzeit agiler werden. Nun ist dies natürlich gerade in der ICT-Branche nichts neues. Aber es betrifft nun nicht mehr nur die Software-Entwicklung, sondern die gesamte Organisation. Dafür müssen aber traditionelle Führungsgrundsätze und klassische Hierarchien hinterfragt werden. Weiter wie bisher ist für die allermeisten Unternehmen keine Option mehr. Ist also New Work die Antwort?

Ein Töggelikasten muss her! Oder doch eine Sitzecke?

Dies bringt uns zum eingangs erwähnten Missverständnis: Viele Führungskräfte denken, dass sie das Thema mit ein paar kosmetischen Massnahmen abhaken können. Auf die Veränderungen der Arbeitswelt zu reagieren, heisst aber nicht, den Mitarbeitenden fortan grosszügigerweise 2 Tage Home Office pro Woche zuzugestehen. Sich auf die Arbeitswelt von morgen vorzubereiten, heisst auch nicht, eine gemütliche Sitzecke mit einem Töggelikasten einzurichten. Dadurch werden weder die Bedürfnisse der Mitarbeitenden adressiert noch das Unternehmen in irgendeiner Weise agiler.

Vielmehr braucht es eine neue Denkhaltung und eine vertrauensbasierte Arbeitsplatzkultur. Wer seinen Mitarbeitenden vertraut, dass sie aus einer intrinsischen Motivation heraus eine gute Leistung erbringen wollen, geht das Thema Remote Work entspannt an. Die Mitarbeitenden sind erwachsene Menschen, welche selber wissen, wo und wann sie die beste Leistung erbringen können. Für die einen ist dies zu geregelten Arbeitszeiten an einem fixen Arbeitsplatz im Büro, andere benötigen maximale Flexibilität um aufzublühen. PS: Das zahlt übrigens gleichzeitig noch auf das Konto Vereinbarkeit ein.

Als Konsequenz muss aber auch die Rolle der Führungskräfte diskutiert werden. Die Führungskraft verteilt nicht mehr Aufträge und entscheidet basierend auf ihrer Positionsmacht, sondern agiert als Coach und Dienstleister für das Team. In vielen Fällen wird man merken, dass es in einem solchen Setting weniger Hierarchien benötigt als bisher geglaubt. Um die Mitarbeitenden mehr entscheiden zu lassen, braucht es eine neue Feedback- und Fehlerkultur als Basis der Zusammenarbeit. Als Gegenleistung erhält man mehr Agilität und Innovation.

New Work ist also letztendlich eine Wertediskussion. Wenn Mitarbeitende eigenverantwortlich und unternehmerisch handeln (nicht nur denken) sollen, benötigt das Unternehmen eine gemeinsame Vision und gelebte Werte. Dies geschieht nicht top-down, sondern unter Einbezug aller. Damit werden die Leitplanken geschaffen, um zusammen erfolgreich zu sein. Denn die Mitarbeitenden wollen nicht einfach Lebenszeit gegen Lohn eintauschen, sondern stolz auf das Unternehmen und ihren eigenen Beitrag sein.

Autor: Seit mehr als 20 Jahren ist Dr. Patrick Mollet als Unternehmer und Investor tätig. Heute begleitet er als Mitinhaber von Great Place to Work Schweiz Organisationen dabei, wenn sie eine vertrauensbasierte Arbeitsplatzkultur schaffen, in der die Mitarbeitenden ihr volles Potential ausschöpfen können. Er publiziert regelmässig Videos zur Arbeitswelt der Zukunft: http://youtube.patrickmollet.ch. Er ist Mitglied der swissICT Fachgruppe Talent Acquisition.

Mit Ihrem Besuch auf unserer Website stimmen Sie unserer Datenschutzerklärung und der Verwendung von Cookies zu. Dies erlaubt uns unsere Services weiter für Sie zu verbessern. Datenschutzerklärung

OK