8. März 2022
Heilsbringer Ökosystem und was ist das überhaupt?
Ökosysteme sind heutzutage in aller Munde, ein so genanntes must-have im Business. Jedenfalls wirkt das auf den ersten Blick so, wenn man einschlägige Wirtschaftsnachrichten oder auch Social Media Posts glauben will. Aber was steckt eigentlich genau dahinter? Was sind die Treiber, was die Herausforderungen?
Was ist ein Ökosystem?
Gemäss Wikipedia wird unter einem Ökosystem das Folgende zusammengefasst: «Ökosystem (altgriechisch οἶκος oikós ,Haus‘ und σύστημα sýstema «das Zusammengestellte», «das Verbundene») ist ein Fachbegriff der ökologischen Wissenschaften. Ein Ökosystem besteht aus einer Lebensgemeinschaft von Organismen mehrerer Arten (Biozönose) und ihrer unbelebten Umwelt, die als Lebensraum, Habitat oder Biotop bezeichnet wird»
Biotop vs. globale Wirtschaftsgemeinschaft
Auf die Wirtschaft übertragen besteht diese «Lebensgemeinschaft» aus mehreren Akteuren, die gemeinschaftlich Wert über diverse Branchen generieren. Das Biotop ist entsprechend einer globalen Wirtschaftsgemeinschaft. Und hier liegt der entscheidende Unterschied zur Natur: während ein Biotop sich über ein bestimmtes geografisches Gebiet erstreckt und durch charakteristische Umweltbedingungen definiert ist, kann ein Ökosystem durch Vernetzung und digitale Plattformen grösseren Raum einnehmen. Aus diesem Grund wird in der Natur der sibirische Tiger nie auf einen Löwen treffen und der Eisbär weiss nicht, dass es Pinguine gibt – solange jedenfalls die Klimaerwärmung dies nicht ändert.
Ein Ökosystem denkt primär an Märkte, auf denen sich Interessensgruppen sammeln. Dies kann trivial wieder ein Branchenmarkt sein, oder aber um eine kundenzentrierte Gebietsbeschreibung rund um Themen wie beispielsweise «Mobilität», «Gesundheit» oder «Finanzen». Der Konsument hat Bedürfnisse, welche über verschiedene Branchen hinweg mit Produkten und Dienstleistungen abgedeckt werden. Der Kunde interessiert sich immer weniger, wo diese Wertgenerierung entsteht, solange sein Bedürfnis effizient, kostengünstig und bequem befriedigt wird.
Agilität und Resilienz ist gefragt
Was ist aber nun der Unterschied von Ökosystemen zu einzelnen Unternehmen, die miteinander Geschäfte machen? In traditionellen Geschäftsmodellen wird eine bilaterale Geschäftsbeziehung eingegangen. Diese Wertschöpfungskette ist entsprechend linear und starr. In einer komplexen und dynamischen Welt ist dies eher hinderlich. Heute müssen Unternehmen agil und resilient sein und schnell auf Veränderungen reagieren können. Ökosysteme bieten diese unternehmerische Flexibilität.
Konsumentenverhalten und Produktelebenszyklen werden immer kürzer, eine Neudefinition bestehender Produkte und komplementärer Services kann besser in einem Ökosystem abgebildet werden, da hier die Wertschöpfung von verschiedenen Akteuren geleistet wird. Diese sind alle untereinander verbunden und voneinander abhängig und beinhalten sowohl Kunden als auch Lieferanten. Der Kunde kann also gleichzeitig Konsument und Produzent der Leistung sein (Beispiele sind Wikipedia, oder auch YouTube, AirBnB, etc.).
Benefits bei einem Ökosystem
Die zunehmende Branchenkonvergenz führt dazu, dass Märkte sich verändern, gar verschwinden oder sich zunehmend weniger differenzieren. In Ökosystemen hingegen können Themen bedient werden, die eng verzahnt und gemeinschaftlich Kundenbedürfnisse abdecken. Die einzelnen Produktgrenzen treten dabei in den Hintergrund, denn der Fokus liegt entsprechend nicht mehr auf losgelöstem Produkteverkauf einzelner Anbieter. Neue Märkte entwickeln sich dynamisch über digitale Plattformen und Social Media über Netzwerkeffekte. Je mehr Interessensgruppen sich um eine Plattform (Marktplatz) bilden, desto höher der Wert des dahinterliegenden Ökosystems.
Ein Ökosystem kann durch die Verknüpfung exponentiell wachsen, was auch entscheidende Vorteile für die Akteure in diesem Ökosystem hat. Zumindest spiegeln das die Zahlen wider: viele Unternehmen im S&P 500 Index haben ein Plattform-Geschäftsmodell. Dies wird sich weiter akzentuieren. Weltweit werden gemäss Studien bis 2025 etwa 30 Prozent aller Umsätze in der Wirtschaft aus Ökosystemen resultieren. Die Orchestratoren dieser Ökosysteme sind meist die Betreiber der digitalen Plattformen. Wir alle kennen die Namen: Amazon, Alphabet (Google), Apple, Meta, Microsoft, Tencent aber auch SAP als Deutscher ERP-Hersteller, und auch Zur Rose als Online Apotheke aus dem Schweizerischen Frauenfeld[1].
Ökosysteme: komplex, aber doch verständlich
Um das Thema Ökosystem mit ihren unterschiedlichen Ausprägungen ein wenig besser zu verstehen, vielleicht einschätzen zu können, bietet sich ein Blick in die Praxis an, und vor allem ein offener Dialog. Das Thema ist für alle Branchen relevant – unabhängig davon, ob es sich um multinationale Konzerne oder KMU’s handelt.
Deshalb hat sich die Fachgruppe Innovation der SwissICT dieser Aufgabe angenommen, und möchte mit Ihnen und ausgezeichneten Expert:innen in den Diskurs gehen.
Autor:innen:
Isabel Esser ist Senior Consultant der AWK Group AG Partner und Mitglied der Fachgruppe Innovation der swissICT. Als aufgeschlossene Netzwerkerin und Chancenseherin in unterschiedlichen Themen und internationalen Märkten, Projektleiterin und Befürworterin von Markterfolg durch Kundenzentriertheit
gehört die Auseinandersetzung/Analyse von Ökosystemen für sie zum Tagesgeschäft.
Daniel Fasnacht ist Program Director, Fellow und Dozent bei der Universität Zürich und CEO und Gründer Strategie- und Innovationsberatungsfirma EcosystemPartners AG. Seine Kompetenzkreise sind digitale Transformation, Open und Frugale Innovation und Ecosysteme. Er leitet die Fachgruppe Innovation von swissICT.
Quellenangabe:
[1] 2021 Zur Rose gründet Partnerschaft mit Allianz, Visana, CSS https://www.zurrosegroup.com/websites/zurrosegroup/English/201010/press-releases.html?newsID=2069349
Foto: Adobe Stock