1. April 2018
Keine Lust
Über E-Voting soll ich schreiben, meint mein Kommunikationschef. Aber um ganz ehrlich zu sein, eigentlich habe ich dazu keine Lust. Nicht, weil mir das Thema nicht wichtig wäre. Auch nicht, weil ich gerade 10 Flugstunden von Zürich entfernt Ferien mache, in einem Café sitze und die Aussicht geniesse. Nein, ich habe keine Lust über E-Voting zu schreiben, denn eigentlich ist zum Thema alles gesagt.
Es rechnet sich kurzfristig ökonomisch nicht, es verdrängt die kommunalen Happenings unter den freiwilligen Stimmenzählern, korrupte Regimes könnten theoretisch die Wahlen manipulieren, die gefühlte Sicherheit des physischen Unterschreibens eines Stimmzeedels (das ist kein Typo – wir Basler Fasnächtler schreiben das so) entfällt und bisherige Pilotversuche haben gezeigt, dass E-Voting sowieso viel komplizierter als normales Abstimmen ist. Die Befürworter haben da nicht viel entgegenzusetzen – ausser, dass die Argumente der Gegner zwar richtig, aber kein Grund sind auf E-Voting zu verzichten – man bemerke die Ironie. Die Befürworter von E-Voting argumentieren mit sehr qualitativen und prinzipiellen Argumenten, die ebenso richtig, aber auch genauso wenig zwingend sind.
Nach dem Gesagten habe ich noch weniger Lust über E-Voting zu schreiben. Wieso? Ganz einfach: Viel wichtiger als das «Wie» beim Abstimmen, ist doch die Frage nach dem «Was» wir abstimmen. «Wieso» etwas überhaupt zur Abstimmung kommt und «Wer» schliesslich entscheidet.
Die Gegner von E-Voting argumentieren sehr oft mit der Angst. Wenn ich aber vor etwas Angst habe, dann davor, dass Entscheide lange vor dem Urnengang über falsche Argumente, Verführung oder gar Fake News manipuliert werden. Mehr als nur nachdenklich macht mich, wenn ich sehe, welche Themen mit welchen Argumenten der Bevölkerung präsentiert werden. Wie Themen besetzt und einzig Zwecks Vermarktung von Parteien oder gar individuellen Karrieren zur Abstimmung gebracht werden. Wie polarisiert wird, wie sich Stadt-Land-, Jung-Alt- oder Schweizer-Nicht-Schweizer-Gräben auftun. Diese Entwicklung – befeuert mit der unbändigen Kraft des Internets und der sozialen Medien – das sind Themen, die es wert wären, diskutiert zu werden.
Die Demokratie oder gar unsere Schweiz ist nicht gefährdet, weil ein paar einzelne Wahl- oder Stimmzettel gefälscht werden könnten – oder in einer elektronischen Welt, ein Über-Admin die Abstimmung total manipuliert. Anbieter wie die Schweizerische Post und eine Schar von Mathematikern sind in der Lage, die technischen, kryptographischen und sonstigen Herausforderungen zu meistern und Nachvollziehbarkeit, Beweisführung und Anonymität unter einen Hut zu bringen.
Gefahr droht dann, wenn unsere Schweizerische Demokratie und die politische Kultur nicht mehr gelebt wird. Wenn Manipulation oder gar Lügen den transparentem Diskurs und Kompromisse ersetzen. Unsere Demokratie ist weltweit einzigartig. Nicht, weil wir so oft über alles Mögliche abstimmen dürfen. Nein, weil in unserer Demokratie nicht einfach nur jeder seinen persönlichen Gewinn sucht(e), sondern weil ein Optimum für das System Schweiz im Vordergrund stand. Anders sind viele Volksentscheide nicht zu erklären, bei denen eine Mehrheit zu Gunsten einer Minderheit gestimmt hat.
Über den Erhalt dieser Kultur zu diskutieren und dafür zu kämpfen – dazu hätte ich Lust.
E-Voting hingegen, müssen wir einfach umsetzen. Sicher mit Bedacht – aber ohne Angstmache. Denn dafür gibt es keinen Grund.
Thomas Flatt ist Präsident swissICT, Unternehmer, Berater und Verwaltungsrat
(Diese Kolumne «Seitenblick» erschien erstmals im Swiss IT Magazine vom 12. Mai 2018 und muss nicht die Meinung von swissICT wiedergeben.)