1. März 2018
Digitalisiert – was nun?
Basel, im März 2027. Ich bin auf dem Weg zu einer Geburtstagsfeier. Nicht zu irgendeiner Geburtstagsfeier – ich bin auf dem Weg zur Feier meines 60. Geburtstags. Wie alle zehn Jahre feiere ich in meiner Heimatstadt, und wie immer im gleichen Restaurant. Die Geschäftsführerin ist (so plus/minus) gleich alt wie ich. Damit hören die Ähnlichkeiten aber schon auf. Im gleichen Mass, wie ich mich in die Digitalisierung gestürzt habe, hat sie sich gegen diesen Trend verwehrt.
Sie hatte im Jahr 2017 kein Handy, und das hat sich auch im Jahr 2027 nicht geändert. Traditionell sind deshalb auch die Einrichtung und die Küche geblieben. Wie nur in wenigen Restaurants in der Stadt gibt es noch Menükarten aus Papier, und die Tische sind aus massivem Holz. Die sonst üblichen, im Tischblatt eingelassenen Bildschirme sucht man vergeblich. Einen Raucherbereich gibt es natürlich nicht. Das war auch 2017 schon so – die müssen raus auf die Strasse. Heute, im Jahr 2027, darf man auch auf der Strasse nicht mehr rauchen. Trotzdem hat es auch bei eisiger Kälte immer eine Traube von Leuten vor dem Hauseingang. Sie rauchen nicht, und sie sprechen nicht miteinander. Sie sind mit ihren Kommunikatoren beschäftigt. Im Jahr 2025 wurde der Begriff Handy durch Kommunikator abgelöst, da der Begriff Handy für Geräte, die man nie in die Hand nimmt, irgendwie nicht mehr passte. Zudem ist der Begriff Handy seit den frühen 20er Jahren sehr negativ besetzt, da eine ganze Generation Jugendlicher wegen Handysucht therapiert werden musste.
Brillen, Kontaktlinsen, Ohrstöpsel und bei den ganz avantgardistischen Zeitgenossen auch Cochlea- und Retina-Implantate sind die neuen Interfaces. Die Leute stehen draussen, weil unsere Gastgeberin im Jahr 2021 beschlossen hat, dass in ihrem Haus nicht digitalisiert wird. Störsender der neusten Generation machen die Verwendung von Kommunikatoren unmöglich. Die Einführung der Störsender war damals belächelt worden – die Kunden werden ausbleiben, wurde prophezeit: Wie soll man einen gemütlichen Abend ohne Kommunikatoren verbringen können?
Auch die Hersteller von digitalen, vollautomatischen Küchenhelfern, sogenannten Culinarien, verzweifelten beim Versuch, diese hier an den Mann bzw. die Frau zu bringen. 80 Prozent günstiger als eine Küchenhilfe, 99 Prozent Reproduzierbarkeit des Kochergebnisses und keine störenden Gerüche im Speisesaal konnten unsere Gastgeberin nicht überzeugen.
Auch die in den meisten Restaurants üblichen Service Bots fehlen. Service Bots sind humanoide Kellner, die immer gut gelaunt sind, den richtigen, auf den Kunden zugeschnittenen Scherz zur Hand haben und natürlich sämtliche Vorlieben des Kunden kennen. Dank Gesichtserkennung begrüsst er mich mit Namen, fragt mich, wie es meinen Kindern auf ihrer ersten Europareise im selbstfahrenden elektrischen Intermobil (stammt von Interrail – einem Angebot, das die vom Konkurs bedrohten europäischen Eisenbahnen eingestellt haben) gehe, und schlägt mir Speisen vor, die ich in den letzten Tagen sicher nicht schon konsumiert habe.
Piep – piep – piep – der Wecker reisst mich aus dem Schlaf, und ich wache auf. Es ist März 2018, und ich habe nur geträumt. Alles gar nicht wahr. Oder doch? Wie immer beim Träumen meldet sich unser Unterbewusstsein und mischt Erfahrung, Erlebnisse und Gefühle mit Ängsten und Erwartungen. Offenbar geht die Digitalisierung auch an mir nicht spurlos vorbei, und ich frage mich: Jetzt sind wir digitalisiert – doch was nun? Dass ich mit dieser Frage nicht alleine stehe, habe ich bei der Vorbereitung zum diesjährigen swissICT Symposium festgestellt, wo wir uns Gedanken zum Thema gemacht haben. Wenn Sie gerne über die Zukunft während und nach der digitalen Transformation als Gast oder Referent mit uns diskutieren möchten, dann sehen wir uns am 24. und 25. September in – na, wo denn? –, in Basel natürlich.
Thomas Flatt ist Präsident swissICT, Unternehmer, Berater und Verwaltungsrat
(Diese Kolumne «Seitenblick» erschien erstmals im Swiss ICT Mitgliedermagazin vom 3. April 2018 und muss nicht die Meinung von swissICT wiedergeben.)