1. September 2022
Open Innovation – wie insbesondere auch KMUs davon profitieren (Teil 3)
Was für Grosskonzerne gilt, zählt insbesondere auch in der Schweiz für KMUs: Innovationen sind existenziell für das Fortbestehen. Hierzulande zählen mehr als 99% der Unternehmen zu den kleinen- und mittleren Betrieben mit bis zu 250 Mitarbeitenden. Sie stellen zwei Drittel der Arbeitsplätze (SECO, 2022). Damit sind sie von grosser Bedeutung für die hiesige Wirtschaft und für den Wohlstand des Landes. Um langfristig am Markt erfolgreich zu sein, müssen sich die Unternehmen sowohl gegen bestehende als auch potentielle Konkurrenten durch Innovationen und agiles Verhalten behaupten.
Herausforderungen von KMU in der Innovation
KMUs haben bezüglich ihrer Innovationskraft jedoch mit anderen Herausforderungen zu kämpfen als grosse Firmen. Die Gründe für eine gehemmte Innovationskraft lassen sich grob in drei Kategorien aufteilen: Unternehmensbezogene, personenbezogene und umfeldbezogene Hemmnisse (Fueglistaller et al., 2015).
Die grössten unternehmensbezogenen Innovationshemmnisse gehen mit der Finanzierung der Innovationsvorhaben einher. Vielen Unternehmen fehlen schlichtweg die finanziellen Mittel, um Innovationen aus eigener Kraft zu finanzieren. Oder es fehlt die Möglichkeit einer Fremdfinanzierung. Andere Gründe sind die zu erwartenden geringen Margen und die hohen Kosten, welche die Innovationsvorhaben verschlingen. Als weniger einschneidend, aber trotzdem vorhanden, werden die mangelnde Qualifikation der Mitarbeitenden, die hohen Risiken und mangelnde Ideen genannt.
Bei den personenbezogenen Innovationshemmnissen sticht die Verfügbarkeit geeigneter, personeller Ressourcen heraus. Nebst den finanzgetriebenen Hemmnissen gibt es natürlich auch kulturelle. Dem Arbeiten an Innovationen wird neben dem Tagesgeschäft kein Platz eingeräumt oder den Ideen der eigenen Mitarbeiter:innen wird kein adäquates Gehör geschenkt.
Bei den umfeldbezogenen Innovationshemmnissen werden der hohe administrative Aufwand, die hohe Amortisationszeit und der teure Innovationsschutz als grösste Innovationshemmnisse ins Feld geführt (Fueglistaller et al., 2015).
Chance für kleine und mittlere Unternehmen
Viele der genannten Innovationshemmnisse lassen sich durch eine Öffnung des Innovationsprozesses (Open Innovation) eindämmen. Personelle Engpässe können durch Kollaborationen mit externen Quellen überbrückt und so interne Wissenslücken gestopft werden. Fehlende Zugänge zu potentiellen Partnern oder Communities können durch den Einsatz eines Intermediärs gelöst werden. Dieser stellt die Infrastruktur zur Verfügung und kann beim Aufbau wertvoller Beziehungen behilflich sein (Lee et al., 2010).
Durch die Vernetzung mit der Aussenwelt schaffen es Unternehmen, ihre Entwicklungszeiten drastisch zu verkürzen und das Flop-Risiko der eigenen Innovationen zu vermindern. Open Innovation hilft so die finanziellen Hürden für die Innovationstätigkeit von mittelständischen Unternehmen zu senken. Durch die Einbindung von Nutzer- und/oder Kundengruppen schärfen Unternehmen zudem ihr Verständnis bezüglich dieser wichtigen, externen Communities, um so noch nutzerzentriertere Angebote auf den Markt zu bringen.
Open Innovation in der Schweiz
Als Early Adopters setzten anfangs vor allem Weltkonzerne in den Pionier-Industrien Software, Elektronik, Telecom, Pharma und Biotech Open Innovation ein. Mittlerweile gibt es zahlreiche Beispiele von mittelständischen Unternehmen, welche die Vorteile dieser Herangehensweise für sich entdeckten.
In der Schweiz tat dies zum Beispiel der Sportartikelhersteller Mammut bereits am Anfang der letzten Dekade. Durch sein breites Produktsortiment, einer stattlichen Anzahl an Konkurrenten und dem dominierenden saisonalen Geschäft herrscht ein grosser Innovationsbedarf, müssen doch zwei Kollektionen pro Jahr entworfen werden, die eine Time-to-Market von zwei Jahren aufweisen.
Um seine interne Innovationskraft zu steigern, brachte Mammut mit einer Online-Community Ideen von ausserhalb in die Firma. Auf der Open Innovation Plattform von Atizo wurden nacheinander drei verschiedene Projekte aufgeschaltet. Dadurch konnte die mehr als 7000 Mitglieder umfassende Community Lösungen zu spezifischen Problemstellung einbringen (Hirner, 2010).
Substitutionslösung für den Reissverschluss
In einem ersten Projekt wurde eine Substitutionslösung für den Reissverschluss gesucht. Innerhalb von vier Wochen gingen 345 Ideen von 204 verschiedenen Teilnehmer:innen ein. Die vielversprechendste Lösung schlugen zwei deutsche Studenten vor. Sie basiert auf einem Verschlussprinzip mit zwei gegenüberliegenden PE-Profilen, die man in ähnlicher Weise von Gefrierbeuteln kennt. In der anschliessenden Konzeptphase erstellten fünf Teilnehmer:innen in sechs Wochen einen funktionalen Prototyp und ein 70-seitiges Dossier.
Mit diesem Projekt und der Zusammenarbeit mit einer Crowdsourcing-Plattform gelang Mammut ein perfekter Einstieg in die Open Innovation und sammelte wertvolle Erfahrungen für Folgeprojekte. Das Fazit fiel entsprechend positiv aus: Mit Hilfe von Open Innovation ist das Unternehmen innert kurzer Zeit zu sehr vielen neuen, Out-of-the-box-Ideen gekommen.
Die Medienpräsenz war gross und die interne Unternehmenskultur wurde gestärkt. Mit anschliessender Cross Innovation, d.h. der branchen – bzw. disziplinenübergreifenden Zusammenarbeit mit externen Innovator:innen, wurde in lediglich zehn Wochen ein funktionaler Prototyp erarbeitet.
In zwei darauffolgenden Projekten suchte Mammut einerseits für die Problemstellung «Knotenloses Anseilen» eine Lösung und andererseits für einen weltweiten Event zum 150-jährigen Bestehen der Firma. (Leimeister et al., 2016),(Hirner, 2010)
Circular economy Projekt «Close The Loop»
Auch in jüngerer Zeit ist Mammut mit innovativen Produkten aufgefallen. An der ISPO München, der grössten Sportmesse der Welt, wurde das Unternehmen gleich mit drei Awards für Produktinnovationen in der Kategorie «Outdoor» ausgezeichnet. Eines der ausgezeichneten Produkte ist das Close The Loop T-Shirt (Mammut, 2021).
Mammut will den ökologischen Fussabdruck seiner Outdoor-Textilproduktion verkleinern und bis 2050 sogar klimaneutral produzieren. Eine Analyse ergab, dass die Produktion von Kletterseilen anteilsmässig am meisten CO2 verursacht. Zudem wurde das hochwertige Material der Seile mangels Alternativen meist mit dem Restmüll entsorgt.
Zusammen mit der Klimaschutzorganisation Protect our Winters (POW) lancierte das Unternehmen das Projekt «Close The Loop», das alten Seilen ein zweites Leben gibt. Übergeordnetes Ziel war ein Konzept für eine Kreislaufwirtschaft in der Outdoor-Industrie. Den Anfang machen sollten T-Shirts aus rezykliertem Nylon.
Das Vorhaben fand in der Kletter-Community sofort grosse Zustimmung. In nur drei Monaten kamen 748kg Seilmaterial zusammen. Dieses wurde an das slowenische Unternehmen Aquafil gesendet, welches daraus wiederverwendbares Nylon herstellte.
Die Mammut-Designer ihrerseits entwickelten ein Funktionsshirt aus 100 Prozent recyceltem Nylon. Den Auftrag zur Produktion erhielt eine Textilfirma aus Litauen. Diese europäische Produktionskette reduzierte zusätzlich den CO2-Ausstoss. Verglichen mit der bisherigen Herstellung aus Rohmaterialen aus Öl sparte Mammut schliesslich 67 Prozent der CO2-Emissionen ein (Mammut, 2020).
Open Innovation im Innovationspark
Ein Entstehungsort für erfolgreiche Open-Innovation-Kultur in der Schweiz sind die Innovationsparks. Diese werden seit 2016 von der Stiftung Switzerland Innovation an sechs Standorten betrieben. Ziel ist die stärkere Vernetzung zwischen Hochschulen und Unternehmen. «Durch den Austausch zwischen Wissenschaft und Wirtschaft werden Ideen so weiterentwickelt, dass Produkte und Dienstleistungen entstehen die erfolgreich vermarktet werden können» schreibt die Stiftung auf Ihrer Website (Switzerland Innovation, 2017).
Als Beispiel wird hier der Innovationspark Zentralschweiz kurz beleuchtet. An diesem Standort geht es unteranderem um die Kombination von Open Innovation und Building Excellence: ein inspirierendes Umfeld mit Co-Working- und Workshop-Räumen sowie Begegnungsflächen laden zum Austausch und gemeinsamen Innovieren ein.
Sogenannte Labs bieten verschiedene Stakeholder einen Ort, um mit schnellem und kundennahem Testing erfolgreiche Produkte zur Marktreife zu bringen. Eine digitale Plattform für die Verwirklichung gemeinsamer Projektideen und zahlreiche Events runden das Angebot dieses Innovations-Ökosystems ab (Switzerland Innovation Park Central, 2021).
In einem Praxisbeitrag aus dem Jahr 2018 beschreibt der Innovationspark, wie sich die Arbeitsgruppe zum Ziel gesetzt hat, die Kombination von Building Information Modeling (BIM) und dem Internet of Things (IoT) zu untersuchen. Sie wollten neue Anwendungsfelder finden. Das Projekt zeigte laut den Verfassern des Berichts sehr gut auf, wie die Mischung verschiedener Kompetenzen im Team, gepaart mit einem inspirierenden Arbeitsort und gemeinsamer Workshops, ein enormer Mehrwert entstand. Firmeninterne Herangehensweisen hingegen sind oft sehr aufwändig und drohen an fehlendem Wissen zu scheitern.
Diese Erkenntnis sei fast höher zu gewichten als das Resultat – der gemeinsame Prototyp – selber. Ein Minimum Viable Product (MVP), also eine erste, lauffähige Produktversion mit noch eingeschränkten Möglichkeiten, stellte ein digitalisiertes Modell eines Raumes mit verschiedenen Sensoren dar. Damit konnten eigene Hypothesen über mögliche Einsatzgebiete und Nutzergruppe validiert werden (Weingärtner & Wey, 2018).
Dies sind nur zwei von etlichen Beispielen, wie Open Innovation in der Schweiz angewendet und gelebt wird.
In meinem nächsten Beitrag gehe auf die Ergebnisse unserer Umfrage über den Stellenwert von Open Innovation in der Schweizer Unternehmenslandschaft eingehen und möchte diese diskutieren. Wir freuen uns auf deine Teilnahme bis zum 30. September 2022. Teilnahme siehe Box unten.
Literaturverzeichnis
Fueglistaller, U., Fust, A., Brunner, C., & Althaus, B. (2015). KMU und ihre Innovationskraft – Inspirationen für den KMU-Alltag. St. Gallen: OBT AG.
Hirner, G. (2010). Open Innovation im Web 2.0. Seon: Mammut AG. https://docplayer.org/6995124-Open-innovation-im-web-2-0.html
Lee, S., Park, G., Yoon, B., & Park, J. (2010). Open innovation in SMEs-An intermediated network model. Research Policy, 39(2), 290–300. https://doi.org/10.1016/j.respol.2009.12.009
Leimeister, J. M., Blohm, I., & Rhyn, M. (2016). Crowdsourcing Chancen für den Mittelstand. IM+io Fachzeitschrift Für Innovation, Organisation Und Management, 64–68. https://www.wiso-net.de/document/IMC__5E32BCC16ED81AF06539732529237286
Mammut. (2020). « CLOSE THE LOOP » – SCHWEIZER PILOTPROJEKT VERBESSERT CO2-. Seon: Mammut AG. https://mammut.prezly.com/close-the-loop-schweizer-pilotprojekt-verbessert-co2-fussabdruck
Mammut. (2021). MAMMUT GEWINNT MIT DEM WELTWEIT ERSTEN KLETTER- TRACKER DEN ISPO GOLD. Seon: Mammut AG. https://mammut.prezly.com/mammut-gewinnt-mit-dem-weltweit-ersten-kletter-tracker-den-ispo-gold-award
SECO (2022). KMU in Zahlen: Firmen und Beschäftigte. Bern: KMU Portal des Staatssekretariats für Wirtschaft SECO. https://www.kmu.admin.ch/kmu/de/home/fakten-trends/zahlen-und-fakten /kmu-in-zahlen/firmen-und-beschaeftigte.html
Switzerland Innovation. (2017). SWITZERLAND INNOVATION. Bern: Switzerland Innovation. https://www.switzerland-innovation.com/de/ueber-uns
Switzerland Innovation Park Central. (2021). CONNECTING GREAT MINDS. Rotkreuz: Switzerland Innovation Park Central. https://building-excellence.ch/wp-content/uploads/2022/04/Broschuere_Switzerland-Innovation-Park-Central.pdf
Weingärtner, T., & Wey, C. (2018). Open Innovation in einem Innovationspark-Ein Praxisbeitrag. Projektmanagement Und Vorgehensmodelle 2018, Lecture Notes in Informatics (LNI), Gesellschaft Für Informatik, Bonn 2018, 41–50. http://www.building-excellence.ch