16. September 2021
«Dynamic Facilitation» als agile Moderationsmethode
von Myriam Mathys und Franziska Gottschalk
Dies erfordert jedoch nicht nur einen passenden Plan, sondern auch neue Skills, um sowohl mit agilen Teams als auch mit der ganzen hybriden Arbeitsrealität, in der man sich unweigerlich wiederfindet, gut umgehen zu können. Ein entscheidender Erfolgsfaktor ist die Fähigkeit, Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen, Mindsets, Ausrichtungen, Ideen und Arbeitsweisen miteinander in einen wirklich konstruktiven Dialog zu bringen.
Dafür braucht es eine andere Art und Weise, wie wir moderieren. Es reicht nicht aus, neue Bezeichnungen für Meetings zu haben und zu hoffen, dass diese neue äussere Form alleine zu besseren Resultaten führt. Was ist zum Beispiel zu tun, wenn es unterschwellige oder gar offene Konflikte im Team gibt? Oder was machen, wenn die Mitglieder des Sounding-Boards nur die eine Seite der Medaille sehen und die Mitarbeitenden vor Ort nur die andere?
Es gibt unterschiedliche Moderationsmethoden, deren Einsatz in unserer neuen Arbeitsrealität sehr hilfreich sind: Eine davon ist «Dynamic Facilitation», die hier etwas näher vorgestellt werden soll.
Moderation geht ja üblicherweise so vor, dass man ein Thema nach dem anderen – sauber getrennt voneinander – bespricht. Oder dass man einen Arbeitsschritt nach dem anderen durchläuft. Und während man das eine bespricht, darf man noch nicht über das andere reden – auch wenn einem gerade ein ganz wichtiger Gedanke gekommen ist. Selbst agile Teams machen dies meist so, obwohl diese Vorgehensweise doch eher an konventionelles Projektmanagement erinnert …
Simultaneres Denken und Sprechen erlauben
Dynamic Facilitation ermöglicht es, diesen linearen Ablauf zu verlassen und simultan vorzugehen. Das macht nur schon deshalb Sinn, weil dies der tatsächlichen Funktionsweise des menschlichen Geistes entspricht: Unsere Ideen, unsere Gedanken und unsere Energie folgen nicht einem im Voraus festgelegten Fahrplan. Unser Geist springt gerne von der einen Assoziation zur anderen und ist am produktivsten, wenn er seiner eigenen Spur folgen kann. Er denkt oft schon an die Lösung, wenn «offiziell» erst die Phase der Problemdefinition ansteht. Oder er will vielleicht Bedenken äussern, wenn der/die Teamleitende gerade das Sammeln von Ideen angesagt hat. Und wenn man sich dann in der Phase der Bewertung von Alternativen befindet, kommt man vielleicht plötzlich darauf, dass man bislang an der falschen Fragestellung gearbeitet hat. Kurz: Eine zwangsweise vorgegebene Struktur bremst die Kreativität und den natürlichen Fluss des menschlichen Geistes. Und sie verhindert oft das, was am dringendsten gebraucht wird: einen echten Durchbruch.
Moderation sollte ein simultaneres Denken und Sprechen erlauben – zum Beispiel gleichzeitig an der Problemdefinition und an möglichen Lösungen arbeiten – und dies ist mit Dynamic Facilitation möglich.
Auch in schwierigen Situationen tragfähige Lösungen finden
Die Moderationsmethode wurde vom Kanadier Jim Rough entwickelt. Sie ist besonders für herausfordernde Themen und Situationen geeignet: es geht vielleicht um viel, die Meinungen divergieren, Emotionen schwingen mit, es braucht eine wirklich neue Lösung und vielleicht glaubt sogar kaum noch einer daran, dass es überhaupt eine Lösung gibt.
Hier läuft Dynamic Facilitation sozusagen zur Hochform auf. Die Methode setzt ganz darauf, dass die richtigen Lösungen wie von alleine emergieren. Und das tun sie in aller Regel auch: Dynamic Facilitation ist bekannt dafür, dass damit auch in sehr schwierigen Situationen unerwartete Durchbrüche erzielt werden. Manchmal ist es aber auch nicht DIE eine Lösung, sondern ein Set von Lösungsansätzen, die zusammen die richtige Lösung ergeben.
Einem interativen Prozess folgen und Selbstorganisation zulassen
Man kann nie genau sagen, wie lange dies dauert. Denn Dynamic Facilitation setzt auf ständiges Lernen und fluides Mitgehen mit dem, was jetzt gerade wichtig ist: es ist ein iterativer Prozess. Und da ist der Endtermin nicht so klar zu definieren. Manchmal taucht der Durchbruch früher auf als erwartet oder sogar ganz schnell, manchmal auch erst später. Und auch das Ergebnis ist nicht vorhersagbar – denn eine Gruppe kann zwischendurch entdecken, dass die Ausgangsfrage gar nicht die eigentlich wichtigste Frage war. Dann arbeitet sie an einem Thema weiter, das sie vorher nicht auf dem Schirm hatte – und ist hochzufrieden.
Dynamic Facilitation ist ungewohnt, da so ganz anders als konventionelle Moderation. Weniger steuernd, mehr Selbstorganisation zulassend, Raum gebend, der Weisheit der Gruppe von Anfang bis Ende vertrauend, Emergenz ermöglichend und organisch mit der Energie der Gruppe gehend. Dadurch können neue Ordnungen aus dem Chaos heraus entstehen – und dadurch oft ganz neue, überraschende Lösungen. Agiler könnte Moderation nicht sein.
Bildlegende: Franziska Gottschalk (links im Bild) und Myriam Mathys anlässlich ihres Workshops an der Arbeitswelten-Konferenz 2021 von swissICT.
Bild: Sergio Mistretta, swissICT
Disclaimer: Dieser Artikel erscheint im Kontext der Arbeitswelten-Konferenz von swissICT am 9. September 2021 in Zürich. Die Autorinnen Franziska Gottschalk und Myriam Mathys hielten an der Konferenz einen Workshop zum hier beschriebenen Thema. Mehr Infos zur Veranstaltung finden Sie unter www.swissict-arbeitswelten.ch