20. Oktober 2022

Innovation im Recruiting – das ist die Realität

Zum einen ist da der Fachkräftemangel und zum anderen sind die Bewerbungsprozesse aus Sicht der Kandidat:innen halt häufig immer noch mühsam. Darum wachsen technologische Innovationen im Rekrutierungsbereich wie Pilze aus dem Boden. Was aber wird in den Schweizer Unternehmen wirklich gemacht und was funktioniert auch gut?

Eine Studie von Avenir Consulting schafft Überblick

Für der Studie «DIGITAL HR 2022» wurden im Zeitraum Februar bis April 2022 80 HR-Verantwortliche in der Schweiz befragt. Diese haben verschiedene Branchen und alle Unternehmensgrössen vertreten. Die Studie sollte aufzeigen, welche HR-Digitalisierungsthemen bei den Unternehmen auf der Agenda stehen oder bereits umgesetzt sind. Auf Basis der erhobenen Daten wurden die Themen schliesslich auf der «Avenir Expectation Matrix» positioniert. Dabei sind diejenigen Projekte, bei denen die Erwartungen gar übertroffen werden, im Quadrant «Wow-Effect» positioniert (siehe Abbildung unten). Die vollständige Studie kann hier bezogen werden: https://www.avenirgroup.ch/consulting/digital-hr-hr-prozesse/

Der Bewerbermanagementprozess ist schon weitgehend digitalisiert

Bei 85% der befragten Unternehmen werden die Bewerbungen mit einem Tool bewirtschaftet, 14% der Unternehmen haben diesen Schritt auf der Agenda. Das Firmen-interne Herumreichen von Bewerbungsmails und das manuelle Nachführen der Übersichtsliste gehört also langsam, aber sicher der Vergangenheit an. Hoffentlich finden das die Kandidat:innen auch gut. Sie haben es jeweils mit dem Kontaktformular zu tun, das mal ganz angenehm, aber leider auch nicht selten ziemlich «nervig» in Erscheinung tritt.

Mit dem Stelleninserat die Menschen erreichen

Das Stelleninserat verdient Aufmerksamkeit. Da sind sich die 95% der HR-Verantwortlichen einig, die für den Erstellungs- und Verteilungsprozess der Anzeige bereits ein Tool einsetzen oder bald einsetzen werden. Mögliche Lösungen dürfen hier genannt werden, denn es sind vor allem zwei Unternehmen in der Schweiz, die sich auf dieses Marktsegment fokussiert haben. Das sind Prospective und Solique. Mit diesen Tools kann man mitunter auch die Wirtschaftlichkeit der genutzten Kanäle überwachen. Und nicht selten wird die Einführung eines solchen Tools mit einem neuen Auftritt begleitet. Macht man hier einen guten Job in der Konzipierung der Inhalte und Visualisierung, darf man sich auf eine positive Überraschung freuen. So zumindest haben es viele Unternehmen erlebt, die oftmals sehr positiv auf ein solches Projekt zurückblicken. Hier gibt’s also Potenzial für einen «Wow-Effekt».

Digitale Interview-Tools kommen ganz gut an

Eine weitere Möglichkeit für den «Wow-Effect» eröffnet sich mit dem Einsatz von digitalen Interview-Tools. Klar – mit der Pandemie haben wir uns sowieso daran gewöhnt, unsere Begegnungen in den virtuellen Raum zu verlegen. Wir haben gelernt, mit Zoom, MS Teams und den vielen anderen Tools umzugehen. Meistens zumindest, denn wir müssen uns doch immer wieder einmal darauf hinweisen lassen, das Mikrophon ein- oder auszuschalten… Viel umstrittener ist jedoch die Frage, wie gut diejenigen Tools bei den Kandidat:innen ankommen, bei denen die Interview-Fragen und Antworten getrennt voneinander aufgezeichnet werden können. «Besser als man denkt» ist die Antwort, die sich gegebenenfalls aus den Studienergebnissen ableiten lässt. Die Möglichkeit, zu irgendeiner Zeit ein asynchrones Video-Interview in den persönlichen Tagesablauf einzuplanen, wird scheinbar schon geschätzt.

Viele wünschen sich einen Talent-Pool

Fast 80% der befragten Unternehmen beschäftigen sich mit dem Thema «Talent Pool». Weniger als die Hälfte haben hierzu jedoch die notwendigen Prozesse bereits implementiert. Erwartungen und Erfahrungen dürfen in diesem Bereich als «zurückhaltend» bezeichnet werden. Die identifizierten Herausforderungen haben aber weniger mit Technologie als mit den Prozessen zu tun. Denn es erfordert schon viel Disziplin, einen Talent-Pool aktuell zu halten und dieses Gefäss sehr effektiv im Rekrutierungsalltag einzubeziehen.

Einige Themen sind noch Zukunftsmusik

Es gibt eine Diskrepanz zwischen dem, was man häufig liest und dem, was in den Unternehmen wirklich genutzt wird. Sehr weit verbreitet ist die künstliche Intelligenz noch nicht. Die Kandidaten-Dossiers werden also gemäss dieser Studie schon noch von Menschen und nicht von Robotern ausgewertet. Im Kontext des Fachkräftemangels sind diese Technologien von vornherein nicht gefragt. Und dort, wo eine Vielzahl an Dossiers eingeht, muss man das Reputationsrisiko in Kauf nehmen, wenn bekannt wird, dass ein Roboter ein passendes Profil «aussortiert». Und schliesslich wird auch die Frage, ob der Algorithmus, der auf Basis eines von Menschen ausgewählten Datensatzes wirklich «unbiased» funktioniert, ebenfalls kontrovers diskutiert.

Fazit: bei der Digitalisierung die Spreu vom Weizen trennen

Das Rekrutierungsgeschäft ist herausfordernd und der Fachkräftemangel vor allem im Bereich ICT ist Realität. Beim Wettbewerb um die Talente kommt man nicht herum, aufmerksam zu sein und technologische Möglichkeiten sich nutzbar zu machen. Dabei ist unternehmerisches Denken gefragt und in jedem Projekt gilt es, den versprochenen Nutzen gut mit den einhergehenden Kosten und Risiken abzuwägen.

Abbildung: Ergebnisse der Studie «DIGITAL HR 2022»

Zum Autor: Ralf Ploner ist erfahrener «HR-Digitalisierer», Mitglied der swissICT-Fachgruppe «Talent Acquisition» und Senior Manager bei Avenir Consulting AG. Kontakt: ralf.ploner@avenirgroup.ch

 

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