19. Januar 2022
«Die Salärstudie hat mir ermöglicht, die Löhne ‹gerecht› zu gestalten»
Interview: Cornelia Ammon
Walter Brenner, was muss man über Sie wissen?
Walter Brenner: Ich bin Professor für Wirtschaftsinformatik und Direktor des Instituts für Wirtschaftsinformatik an der Universität St. Gallen, an der ich seit 2001 als Professor tätig bin.
Begonnen hatte ich meine Karriere als Assistent an der Universität St. Gallen, da habe ich auch in Wirtschaftsinformatik promoviert. Anschliessend war ich vier Jahre bei der Lonza, zwei Jahre davon als amtierender CIO mit globaler Verantwortung. Und dann wurde ich nach Freiberg in Sachsen und Essen in Deutschland als Professor berufen, bevor ich an die Universität St. Gallen berufen wurde. Neben der Tätigkeit als Professor bin ich als IT-Management-Berater tätig. Ich hatte in meiner Laufbahn sehr viele Aufsichts-, Beirats- und Verwaltungsratsfunktionen. Heute bin ich noch bei der HiSolutions AG, Berlin, im Aufsichtsrat. Das ist eine Firma, die auf IT-Security und IT-Service-Management spezialisiert ist.
Uns kam zu Ohren, dass Sie bereits früh in Berührung mit der swissICT Salärstudie kamen. Wie kam das?
Ich finde die Salärstudie von swissICT sehr sinnvoll. Als ich als junge Führungskraft bei der Lonza in der IT eingestellt wurde, bemerkte ich, dass es grosse Unterschiede zwischen der Entlohnung der Mitarbeitenden im Wallis oder in Basel gab. Zudem hat man sich mit legendenhaft hohen Löhnen in Zürich beschäftigt. Das führte zu einer Unzufriedenheit, die ich nicht richtig fassen konnte.
Die Salärstudie hat mir ermöglicht, die Löhne «gerecht» zu gestalten. Das hatte verschiedene positive Effekte.
Erstens: Die Mitarbeitenden wurden zufriedener. Zweitens: Ich konnte gegenüber der Geschäftsleitung einigermassen objektiv argumentieren und nicht nur über Gerüchte über Entschädigungshöhen reden. Drittens: Nachdem ich diese Salärangleichung durchgesetzt hatte, wurde eine Bildungsoffensive gestartet. Viele Mitarbeitende haben gesehen, dass sich eine Weiterbildung finanziell lohnt. Viertens: Die Personalabteilung war mir gegenüber sehr viel positiver gestimmt. Soweit ich mich erinnere, wurde diese Ausbildungsoffensive für andere Bereiche der Gruppe als Beispiel genommen. Wenn man als junger Chef so etwas machen darf und es erfolgreich ist, dann vergisst man es nicht.
Wie beschäftigen Sie Salärthematiken in Ihrer heutigen Lehr- und Forschungstätigkeit?
Ich muss leider sagen, dass die Beschäftigung mit der absoluten Höhe von Salären praktisch keine Rolle spielt. Ich kenne auch keine Kollegin und keinen Kollegen im deutschsprachigen Raum, die oder der sich mit der absoluten Höhe von Salären in der Forschung beschäftigt. Der Grund hierfür ist relativ einfach: Saläre sind ein Tabuthema in der Schweiz, Deutschland und Österreich. Entsprechend würde wohl niemand einem Professor oder einer Professorin konkrete Angaben geben, wie viel sie oder er inklusive Boni verdient.
Wir beschäftigen uns mit Kompetenzen, die es braucht, um die Zukunft in der Informatik zu bewältigen. Wir schauen zum Beispiel Design Thinking oder den Einfluss von künstlicher Intelligenz auf die IT an.
Es ist eigentlich schade, denn ein Lohnvergleich wäre sicher eine spannende Forschungsaufgabe. Aber selbst nach vielen Jahren in der Branche traue ich mir nicht zu, dass ich offene Türen vorfinden würde, wenn ich zum Beispiel einen Lohnvergleich der ersten zwei Führungsstufen in der Informatik in der Schweiz machen würde. Zudem gibt es ja die Salärstudie.
Im ICT-Markt gibt es einen Fachkräftemangel. Wie sehen Sie dieses Thema?
Im Trendradar CIO, in welchem alle vier Monate rund 40 Top-CIOs von grossen Schweizer Unternehmen beteiligt sind, stellen wir Folgendes fest: Die Suche nach qualifizierten Mitarbeitenden steht auf Platz 4 der Herausforderungen von CIOs. Das ist relativ hoch.
In Gesprächen höre ich fast von jedem CIO, dass die Suche nach qualifizierten Mitarbeiter:innen ein Schlüsselfaktor ist. Das bestätigen auch die Erhebungen. Das andere ist, dass 45 Prozent der Befragten davon ausgehen, dass die Anzahl der Mitarbeitenden in der IT in den nächsten zwölf Monaten wachsen wird. Vor allem in der Finanzbranche, die für die Schweiz sehr wichtig ist.
Das heisst, die Verknappung durch fehlende qualifizierte Mitarbeiter:innen wird steigen und der Kampf um die guten Leute wird noch schwieriger werden. 60 Prozent der Unternehmen oder der CIOs, die ich befrage, sagen mir ganz klar, dass sie nicht alle notwendigen Skills/Fähigkeiten in ihrem Unternehmen haben. Das heisst: Hier braucht man entweder zusätzliche Personen oder muss bestehende Mitarbeitende aus- und weiterbilden. Ausserdem gehen über 50 Prozent der befragten CIOs von steigenden Löhnen für die Mitarbeitenden und von steigenden Kosten für die Gewinnung von Mitarbeitenden aus. Für die guten qualifizierten Mitarbeitenden ist das sicher eine komfortable Situation.
Für die Unternehmen ist es hingegen eine echte Herausforderung. Man muss immer berücksichtigen, dass wir uns in der Schweiz viele Jahrzehnte als Importeure von Informatikwissen definiert haben. Jetzt sehen wir, dass die Konkurrenz in den Ländern, aus denen wir lange Zeit relativ mühelos Spitzenkräfte in der Informatik gewinnen konnten, grösser wird. Wir müssen also unsere Wettbewerbsfähigkeit neu hinterfragen. Ich bin überzeugt, dass die Schweiz immer noch ein sehr attraktiver Arbeitsplatz ist. Es ist ein wohlhabendes Land, ein sicheres Land mit wunderbarer Infrastruktur, wenn man zum Beispiel an den öffentlichen Verkehr denkt. Aber die Personen, die früher leichter für die Arbeit in der Schweiz zu gewinnen waren, sind immer schwieriger zu bekommen. Wir bilden in der Schweiz einfach zu wenig Informatiker:innen und Wirtschaftsinformatiker:innen aus.
Das meine ich über alle Stufen hinweg. Es braucht Lehrstellen und Ausbildungsplätze an Fachhochschulen und Universitäten. Und es wäre sehr wichtig, dass wir mehr Personen in Informatik und Wirtschaftsinformatik ausbilden würden, als dies heute der Fall ist.
Ich würde vielleicht noch anfügen, dass die Schweiz natürlich wunderbare Universitäten und Spitzenuniversitäten in Informatik und Wirtschaftsinformatik hat, vor allem in der Informatik, insbesondere die beiden ETH. Das ist auch mit ein Grund, weshalb Internetgiganten in Zürich Tausende von IT-Jobs geschaffen haben. Das hat die Reputation des Informatikplatzes Zürich, Lausanne oder der ganzen Schweiz massiv gesteigert. Es führt aber zusätzlich zu einem Wettbewerb zwischen Internetgiganten und Schweizer Unternehmen, aus dem Letztere nicht immer als Sieger hervorgehen.
Positiv ist, dass die Politik, zum Beispiel in St. Gallen, stark in die Verbesserung der Lehre an Fachhochschulen und Universitäten investiert. So wird zum Beispiel in St. Gallen ein neuer Studiengang für Informatik eingerichtet, an dessen Etablierung ich auch persönlich beteiligt war. Es gibt aber noch viel zu tun.
Wie wichtig ist das Salär im «War for Talents»?
Vielleicht klingt es konservativ, aber ich glaube, dass die subjektiv wahrgenommene faire Entlohnung immer ein zentraler Punkt ist. Wer sich nicht «gerecht» entlohnt fühlt, wird immer unzufrieden sein. Geld ist nicht nur, wie es oft gesagt wird, ein Hygienefaktor. Es ist ein Faktor, der für die Menschen extrem relevant ist.
Natürlich sind auch andere Punkte von Bedeutung. Beispielsweise ist der Standort sehr wichtig. Zürich hat Magnetwirkung. Viele junge Leute, die während des Studiums, um eine Informatikausbildung zu machen oder für die Lehre nach Zürich gezogen sind, wollen nicht mehr zurück aufs Land. Zürich ist ein attraktiver Arbeitsplatz, der ein modernes urbanes Leben ermöglicht.
Junge Leute fordern immer stärker eine vernünftige Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Es ist nicht nur dieses ominöse Wort «Work-Life-Balance». Es geht um ganz konkrete Fragen, wie eine junge Familie mit Kindern, wenn beide Eltern Karriere machen wollen, ihr tägliches Leben gestaltet.
Heute ist auch relevant, wie ein Unternehmen mit Sustainability und Diversity umgeht und ob es einen Beitrag zum Umweltschutz leistet. Es gibt Schweizer Unternehmen, die für High Potentials in der Informatik aufgrund ihrer Reputation nicht mehr in Frage kommen.
Wie nehmen Sie das Thema «Agilität» wahr?
Die teamorientierte agile Vorgehensweise ist wichtig. Das wird auch von vielen jungen Softwareentwickler:innen gefordert. Es ist cool, man will so arbeiten, man hört es von Kolleg:innen, dass Agilität etwas Gutes ist, und fühlt sich als Softwareentwickler:in in der zweiten Reihe, wenn man nicht in einer agilen Umgebung arbeitet.
Man darf aber auch nicht allzu enthusiastisch sein. Viele Unternehmen nutzen Agilität, um Hierarchiestufen abzubauen. Das sieht auf den ersten Blick spannend aus. Es läuft aber nicht immer schmerz- und reibungslos ab.
Hinter dieser Freude über die Agilität verbirgt sich zum Teil auch die alte Idee, ohne Vorgesetzte quasi demokratisch arbeiten und sich selbst Ziele setzen zu können. Das ist sicher begrenzt möglich, aber man darf sich nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch agile Teams geführt werden müssen.
Dazu kommt, dass viele junge Menschen heute eine Start-up-Mentalität fordern, ohne genau zu wissen, wie ein Start-up funktioniert. Sie kennen die Sorgen und Nöte von Menschen nicht, die alles auf eine Karte, nämlich auf ihr kleines, hoffentlich schnell wachsendes Unternehmen gesetzt haben. Hier gibt es durchaus Enttäuschungen.
Das Thema der Gleichberechtigung bei Salären ist nach wie vor sehr aktuell. Wie beurteilen Sie dies Stand Anfang 2022?
Ich war und bin ganz klar der Meinung, dass es für gleiche Arbeit gleichen Lohn geben muss. Ich würde sogar sagen: auch ohne Berücksichtigung der formalen Qualifikation. Eine Person, egal ob Frau oder Mann, die sich hochgearbeitet hat, muss bei gleicher Arbeit den gleichen Lohn kriegen.
Die Frage, wie Gleichberechtigung implementiert wird, ist nicht nur abhängig vom Anspruch und vom Durchsetzen des Salärs. Wir kommen sehr rasch zu Themen wie der Teilzeitarbeit, Job-Sharing und Kinderbetreuung. Wie schaffe ich Arbeitsplätze mit guter Entlohnung und dem Ermöglichen privater Herausforderungen wie Kinderbetreuung? Ich bin über die aktuellen Tagessätze der Kindertagesstätten in St. Gallen nicht informiert, aber von Kolleg:innen, die Kinder dort haben, höre ich, dass es enorm teuer ist. Da kommen ganz andere Fragen der «Lohngerechtigkeit» auf.
Ganz abzusehen vom Stress in den Familien, wenn beide Karriere machen. Eine gute Entlohnung hilft, keine Frage. Wer mehr Ressourcen hat, hat mehr Optionen. Aber am Ende löst auch ein hoher Lohn nicht alle Probleme.
Disclaimer: Dieses Interview erscheint in gekürzter Fassung in der Printausgabe des swissICT Mitgliedermagazin 01/2022, welches im Januar an die Mitglieder von swissICT per Post versendet wird.