24. März 2021

Durchstarten mit innovativen Geschäftsmodellen

Start-ups und Geschäftsmodellinnovationen können oder wollen nicht auf einen bestehenden organisatorischen Rahmen für Innovationsprozesse zurückgreifen. Dann sind Entwicklungen und Ansätze gefragt, die sich maximal auf die Zielsetzung der Innovation fokussieren.

In einem ersten Artikel zu Innovationsmethoden (https://www.swissict.ch/wie-innovieren/) hat der Autor Methoden vorgestellt und kategorisiert, welche einfach und schnell einen bestehenden Innovationsprozess bereichern und strukturieren helfen. Der Fokus lag dabei auf der Ideengenerierung und -bewertung. Den Innovationsprozess als solchen, wenn er denn existierte, haben wir in diesem Kontext nicht thematisiert.

In einem zweiten Artikel (https://www.swissict.ch/agile-innovation-schneller-effizienter-und-flexibler-innovieren/) hat unser Fachgruppen-Kollege Urs Isenegger Agile Innovation als Alternative zum klassischen, sequenziellen Trichterprozess für Innovationsmanagement thematisiert. Auch wenn sich Agile Innovation mehr als Ansatz denn als Prozess versteht und, wie schon der Name verrät, ein hohes Mass an Flexibilität und Anpassungsfähigkeit gewährleisten soll, so wird Agile Innovation eher in etablierten Unternehmungen als Innovationsprozess zum Einsatz kommen.

Anders stellt sich die Situation dar, wenn kein organisatorischer Rahmen zur Verfügung steht oder die gegebenen Randbedingungen dessen Verwendung nicht nahelegen, zum Beispiel bei Startups oder Geschäftsmodellinnovationen. Im Fokus stehen dann Entwicklungen und Ansätze zur Innovation, die konsequent jeden Mitteleinsatz auf Notwendigkeit hinterfragen und sich auf die Zielsetzung der Innovation fokussieren. Diese Ansätze greifen die veränderten Möglichkeiten der Digitalisierung auf und stellen insbesondere für Startups in der New Economy einen vielsprechenden Ansatz dar.

Lean Startup

Ein zentraler Baustein von Agile Innovation ist Lean Startup. Lean Startup wurde vom US-amerikanischen Unternehmer Eric Ries entwickelt und im September 2008 in seinem Blog «Startup Lessons Learned» vorgestellt (Ries, 2008). Die Zielsetzung von Lean Startup ist es, schnellstmöglich ein minimalistisches Produkt (gleich welcher Art) mit ausreichendem Marktpotenzial zu entwickeln.

Die Fokussierung auf ein minimalistisches Produkt, das nicht mehr Features als für den Erfolg im Markt unbedingt erforderlich enthält, soll dabei die Entwicklungszeit minimieren. Dieses minimalistische Produkt wird Minimal Viable Product (MVP) genannt. Die Entwicklung erfolgt in einem Build – Measure – Learn-Zyklus, der so häufig durchlaufen wird, bis ein Produkt entstanden ist, das einen ausreichenden Erfolg auf dem Markt verspricht.

 

Co-Creation

Der Einsatz von Co-Creation in der Learn-Phase von Lean Startup verspricht die höchste Effizienz bei der Verprobung des Marktpotenzials eines MVPs. Unter Co-Creation im Kontext Innovation versteht man den Einbezug von Kunden im Innovationsprozess. Besonders bietet sich dies zur kritischen Würdigung von Produkten und Dienstleistungen und der Formulierung und Priorisierung von Anforderungen an. Diese Form des Feedbacks liefert schnell wertvolle Hinweise auf die Bedürfnisse des Marktes. Der Entwicklungszyklus lässt sich somit beschleunigen, die Marktreife wird früher erlangt.

Open Innovation

Co-Creation kann als eine Ausprägung von Open Innovation gesehen werden. Open Innovation bezeichnet generell die Öffnung des Innovationsprozesses gegen aussen. Neben dem Feedback der Kunden bereichern vor allem externe Berater und auch Lieferanten mit ihrer jeweiligen Expertise den Innovationsprozess. Die geschieht in der Erwartung, bereits bestehende Teillösungen oder Vorerfahrungen nutzbringend in den Innovationszyklus einbringen zu können und den Lösungsraum für Innovationen zielführender zu bewirtschaften.

Crowd-sourced Innovation

Crowd-sourced Innovation gilt als eine besondere Form der Open Innovation. Wie der Name verrät, werden wesentliche Teile des Innovationsprozesses durch die Crowd, also einer sehr grossen Anzahl von Teilnehmern, gestaltet und erbracht. Dies geschieht online über das Internet unter Verwendung von Kollaborationswerkzeugen. Crowd-sourced Innovation bietet ein enormes Potenzial zur Ideengenerierung und Lösungsfindung. Externe Communities denken out-of-the-box und generieren auch unkonventionelle und ungewöhnliche Lösungsvorschläge, welche die Kernteilnehmer eines Innovationsprozesses häufig gar nicht in Betracht ziehen.

Die daraus entstehenden Ideen können einerseits in die unternehmenseigene Innovations-Pipeline übernommen werden oder durch die Crowd selbst gemeinschaftlich weiterentwickelt werden. Als Paradebeispiel für Crowd-sourced Innovation darf Open Source-Software gelten. Hier sorgt eine Community für die stetige Wartung und Weiterentwicklung und den Einbau neuer Funktionalität. Natürlich ist Software als rein digitales Produkt hervorragend dafür geeignet sich ohne Hürden über das Internet bearbeiten zu lassen.

Running Lean

Eric Ries entwickelte Lean Startup für sein eigenes Unternehmen, welches zu diesem Zeitpunkt rund 40 Mitarbeiter hatte. Ash Maurya tat sich schwer, die Erfolgsmuster von Lean Startup auf seinen eigenes 1-Mann-Startup zu übertragen und entwickelte daher 2012 Lean Startup zu Running Lean weiter (Maurya, 2012). Zielsetzung war es ein praktikables Verfahren auch für sogenannte Garagen-Startups zu finden, also Firmen mit einigen wenigen Mitarbeitenden ohne externe Kapitalgeber. Running Lean basiert auf drei Bestandteilen:

  1. Customer Development
  2. Bootstrapping
  3. Lean Canvas

Customer Development

Customer Development wurde von Steve Blank in den Neunzigern entwickelt (Blank, 2013). Seine Methode sieht vier Schritte vor, um ein innovatives Geschäftsmodell zu entwickeln und zu validieren. Diese sind

1Customer DiscoveryFür das angestrebte Geschäftsmodell werden Hypothesen aufgestellt, welche im Kontakt mit echten Kunden verworfen oder bestätigt werden.
2Customer ValidationNun wird die Skalierbarkeit des Geschäftsmodell geprüft.
3Customer CreationMit dem entworfenen tragfähigen und skalierbaren Geschäftsmodell wird nun eine grosse Kundenbasis aufgebaut.
4Company BuildingAbschliessend erfolgt der Übergang von einem Startup zu einem Unternehmen mit strukturierter Organisation.

Business Model Canvas

Canvas haben generell ihren Einzug in das Innovationsmanagement gefunden. Früher war es üblich, neue Produkte und Geschäftsmodelle ausführlich in Konzepten zu dokumentieren und alle Aspekte eingehend zu beleuchten. Im Sinne der Agilen Entwicklung und eines kurzen time to market, ist man dazu übergegangen, diese Konzepte durch Canvas abzulösen.

Canvas haben zum Ziel, schnell auf die entscheidenden Faktoren einer Innovation zu fokussieren und nicht zielführende Aspekte auszublenden. Am bekanntesten ist das Business Model Canvas von Alexander Osterwalder (Osterwalder et al., 2011). Das Business Model Canvas dokumentiert das Geschäftsmodell in neun definierten Komponenten. Dabei stehen die Schlüssel-Partner, -Aktivitäten und -Ressourcen den Kunden-Segmenten, -Beziehungen und -Kanälen gegenüber, ebenso wie die geplanten Kosten und Erlöse. Im Mittelpunkt steht das Nutzenversprechen (value proposition).

Lean Canvas

In Running Lean hat Ash Maurya das Business Model Canvas zur Unterstützung seiner Zielsetzung auf ein Lean Canvas abgewandelt, auf dem die Ausgangslage eines anvisierten, innovativen Geschäftsmodells dokumentiert wird. Auch das Lean Canvas besteht aus neun Komponenten, unterscheidet sich aber in einzelnen vom Business Model Canvas.

Ash Maurya sieht vor Running Lean in drei Schritten zu durchlaufen. Zunächst wird der erste Entwurf der Geschäftsidee oder des innovativen Produktes als Lean Canvas dokumentiert. Ash Maurya schlagt dazu eine bestimmte Reihenfolge vor (siehe Bild), welche die Geschäftsidee systematisch aufbaut und fixiert. Der begrenzte Platz, der auf dem Canvas zur Verfügung steht, zwingt den Autor dabei sich kurz zu fassen. Diesen ersten Entwurf bezeichnet Ash Maurya als Plan A. Aus seiner Sicht sind alle Einträge auf dem Canvas Hypothesen, welche es zu validieren gilt.

In einem zweiten Schritt werden dann die risikoreichsten Hypothesen des Entwurfs identifiziert. Diese gilt es als erstes kritisch auf Ihre Gültigkeit hin zu hinterfragen. Der Schwerpunkt, in dem kritische Hypothesen bevorzugt zu lokalisieren sind, leitet sich dabei aus dem Stadium ab, in dem sich das Startup befindet.

Der dritte Schritt dient nun dazu diese kritischen Hypothesen zu bestätigen oder zu widerlegen. Dies erfolgt in sogenannten Experimenten in direktem Kontakt mit den potenziellen Kunden des Geschäftsmodells. Die dabei zum Einsatz kommenden Demonstrationen müssen einerseits ein realistisches Bild der Geschäftsidee vermitteln, andererseits aber mit minimalem Aufwand erstellt worden sein. Denn zu diesem Zeitpunkt ist der Hintergedanke ja nur eine Hypothese. Diese mündet in den bereits beschriebenen Build-Measure-Learn-Zyklus, der schliesslich iterativ zu einer verbesserten und tragfähigen Version des Plan A führt.

Bootstrapping

Wie die ersten beiden Bestandteile seiner Methode ist auch der dritte Pfeiler Bootstrapping darauf hin ausgerichtet sich auf das Wesentliche zu fokussieren. Das konzipierte Produkt soll möglichst rasch (als MVP) auf den Markt gebracht werden, Umsatz generieren und einen Beitrag zur Unternehmensfinanzierung leisten. Die Aufnahme von Fremdkapital wird somit minimiert oder sogar ganz vermieden. Cash Flow wird also höher gewichtet als reines Wachstum.

Growth Hacking

In der digitalen Welt hat vor allem Growth Hacking als Methode eine gewisse Bekanntheit erlangt, wenn man mit geringen finanziellen Mitteln auskommen muss oder möchte. Der Begriff wurde 2010 von Sean Ellis geprägt (Ellis, 2010). Die digitale Welt bietet zahlreiche Möglichkeiten Massnahmen zur Steigerung der Bekanntheit oder zur Absatzförderung umzusetzen, welche keine oder nur sehr geringe Kosten verursachen (zum Beispiel Vorschlagsmechanismen oder Community-Bildung). Growth Hacking setzt darauf, genau diese Möglichkeiten geschickt einzusetzen und den Wirkungskreis der eigenen Geschäftsidee massiv zu erweitern.

Bereit zum Abheben?

Der klassische Innovationsprozess hat also in den letzten Jahren selbst zahlreiche Innovationen und Abwandlungen erfahren. Gerade die digitale Welt mit ihren niedrigen Einstiegshürden zur Umsetzung neuer Geschäftsideen hat hier die Kreativität angeregt und als Katalysator gewirkt. Als Ergebnis stehen innovativen Unternehmen und Startups heute zahlreiche Methoden und umfangreiche Erfahrungen zur Verfügung, um einen für sie geeigneten Innovationsprozess ohne Ballast zu entwickeln.

Sie möchten die Diskussion zu Innovationsmethoden vertiefen oder haben Fragen? Dann wenden Sie sich an den Autor oder ein Mitglied der Fachgruppe Innovation der swissICT. Wir freuen uns auf Ihren Kontakt.

 

Foto: Annie Spratt on Unsplash 

Autor: Dr. Harald Bader ist Partner der ADP Analyse Design Planung und Mitglied der Fachgruppe Innovation von swissICT. Als Projektleiter und Agile Product Manager stehen innovative Lösungen für Dr. Harald Bader im Zentrum seiner beruflichen Tätigkeit. Neuartige Produktideen und Verfahren zu finden, zu evaluieren und zur Einsatzreife zu bringen sind ein wesentlicher Erfolgsfaktor seiner Tätigkeit.

 

Literaturverzeichnis

Blank S. (2013) The Four Steps to the Epiphany: Successful Strategies for Products that Win

Ellis S. (2010). Find a Growth Hacker for Your Startup: https://www.startup-marketing.com/where-are-all-the-growth-hackers/, abgerufen am 1.2.2021.

Maurya A. (2012). Running Lean: Iterate from Plan A to a Plan That Works

Osterwalder A., Pigneur Y. (2011). Business Model Generation: Ein Handbuch für Visionäre, Spielveränderer und Herausforderer

Ries E. (2008). Startup Lessons Learned: http://www.startuplessonslearned.com/2008/09/lean-startup.html, abgerufen am 18.1.21

Mit Ihrem Besuch auf unserer Website stimmen Sie unserer Datenschutzerklärung und der Verwendung von Cookies zu. Dies erlaubt uns unsere Services weiter für Sie zu verbessern. Datenschutzerklärung

OK