30. August 2023

«Zusammenarbeitsformen haben sich in den letzten zwei Jahren verändert»

Die swissICT Salärstudie 2023 erhebt neben den Salären erstmals die Arbeitsbedingungen. Wir haben mit zwei IT-HR-Fachpersonen über die Studie gesprochen. Urs Gurtner, Fachexperte Personalpolitik bei der SBB, und Lukas Ruggli, HR-Geschäftspartner bei der Post geben Auskunft.

Die swissICT Salärstudie ist heute der Benchmark für ICT-Saläre in der Schweiz. Wir haben mit Urs Gurtner, Fachexperte Personalpolitik bei der SBB, und mit Lukas Ruggli, HR-Geschäftspartner der IT bei der Post, über die Bedeutung der Studie für ihre Arbeit gesprochen. Ein besonderer Fokus galt den Arbeitsbedingungen, die die ICT-Salärstudie dieses Jahr erstmals erhoben hat.

 

«Es ist wichtig zu wissen, auf welche Vorteile die künftigen Mitarbeitenden zählen können»

Herr Gurtner, die SBB nimmt schon lange an der swissICT Salärstudie teil. Wo, wann und wie hatten Sie das erste Mal Kontakt mit der swissICT Salärstudie?

Wir von der SBB nehmen schon seit Langem an der swissICT Salärstudie teil. Die Salärstudie der swissICT ist dank den klaren Berufsprofilen, der Stabilität der Umfrage und der grossen Resonanz in der Branche das beste Instrument, um die Marktfähigkeit der eigenen Lohnpolitik in den ICT-Berufen zu überprüfen. Für uns ist diese jährliche Standortbestimmung zum fixen Referenzpunkt geworden, den wir nicht missen möchten.

Nebst den Basis-Salären ist das Thema der Anstellungsbedingungen und insbesondere die Home-Office-Regelungen ein wichtiges Thema. Wie relevant ist dieses Thema aus Ihrer Sicht für die Mitarbeiterbindung und -Gewinnung?

Das ist ein sehr wichtiges Thema bei der Mitarbeiterinnenbindung sowie in der Gewinnung von neuen Arbeitskräften. «Work smart» und damit auch Home-Office sowie der Umgang damit, hat seit Langem eine sehr grosse Bedeutung, nicht nur in der ICT-Branche. Dies liegt gewiss an der Technikaffinität der Fachkräfte, aber ganz klar auch an der Arbeitsautonomie in den jeweiligen Tätigkeiten. Im Rahmen von «Work smart» fördert die SBB orts- und zeitunabhängige Arbeitsformen schon seit mehreren Jahren.

Wie fühlen Sie den Puls und die Erwartungshaltungen bei Ihren Mitarbeitenden?

Wir verfügen über mehrere Instrumente wie wir den Mitarbeitenden allgemein den Puls fühlen. Unsere jährliche Erhebung der Personalmotivation gibt uns einen sehr guten Überblick über die Erwartungshaltung unseres gesamten Personals. Hier können wir gezielt Rückschlüsse über die Erwartungshaltungen der einzelnen Bereiche ziehen. Die digitale Zone der SBB arbeitet nach agilen Prinzipien und hier sind regelmässige Retros Usus. Diese zeigen uns auf, was wir besser machen können.

Mit welchen neuen Erwartungshaltungen waren Sie in den letzten beiden Jahre konfrontiert?

Die Anstellungsbedingungen sind generell immer wieder Thema, aber fast wichtiger sind für die jüngeren Mitarbeitenden die persönlichen Entwicklungsoptionen in ihrer Tätigkeit. Hier können wir mit unserer Shared Leadership Organisation und der Rolle des persönlichen Coachs, sprich den Centerleitenden, Lösungen anbieten, die diesen veränderten Umständen Rechnung tragen. Weiter sind die inhaltlichen Themen für die Mitarbeitenden wichtig, die Arbeitsautonomie und die Möglichkeit mitzugestalten ist bei vielen Bewerbenden ein grosses Thema und ein Grund, warum eine Anstellung bei der SBB attraktiv ist. Selbstverständlich spielt die Teamkonstellation und ein modernes Arbeitsumfeld mit flexiblen Arbeitsorten und Arbeitszeitgestaltung eine weitere Rolle.

Stimmt es, dass das Home-Office nun nicht mehr so viel genutzt oder eingefordert wird?

Wir sehen im Branchenumfeld keine merkliche Veränderung. Sicher, die Mitarbeitenden sind ins Büro zurückgekehrt und schätzen den physischen Austausch mit den Kolleginnen und Kollegen vor Ort. Doch nach wie vor wird bei uns im Home-Office gearbeitet und dies wird auch weiterhin der Fall sein.

Welche Relevanz haben die Regelungen der Ferientage für die SBB und wie sehen Sie es mit den kantonalen Unterschieden?

Unser Gesamtarbeitsvertrag garantiert allen Mitarbeitenden in sämtlichen Landesteilen die gleiche Anzahl Feiertage, insofern fallen da die kantonalen Unterschiede für unser Personal nicht ins Gewicht. Wir bieten unseren Mitarbeitenden die Möglichkeit, flexibel einzelne unbezahlte Urlaubstage dazuzukaufen, oder sie haben mit unserem Flexa-Modell die Möglichkeit aus Überzeiten oder Lohnbestandteilen in zusätzliche Ferientage umzuwandeln. So kann auch einmal ein längerer Urlaub ermöglicht werden.

Inwieweit, waren die Tendenzen zu den heutigen Themen auch bereits vor 2020 vorhanden? 

Wie erwähnt, fördert die SBB im Rahmen von «Work smart» orts- und zeitunabhängige Arbeitsformen schon seit mehreren Jahren. Insofern hat sich da für uns wenig verändert.

Die allgemeine Salär-Thematik im Arbeitsmarkt oder der Fachkräftemangel sind aktuelle Themen in der IT-Branche. Wie nehmen Sie diese Entwicklungen im ICT-Markt wahr? 

Es ist schon ein länger andauerndes Thema, dass es nicht genügend Arbeitskräfte der ICT-Branche auf dem Arbeitsmarkt gibt. Daher ist es wichtig, dass das Unternehmen und das gesamte Leistungspaket stringent präsentiert wird. Bewerbenden muss klar aufgezeigt werden können, welche Vorteile die SBB bietet.

Welchen Mehrwert bringen Ihnen die Daten des neuen Reports zu den Anstellungsbedingungen in Bezug zu den bestehenden ICT-Salärstudien Reports?

Es ist eine wichtige Standortbestimmung für uns wie wir uns im Markt präsentieren. Es rundet das Bild über die gebotenen Leistungen ab und ist daher sehr hilfreich.

Welche Ratschläge würden Sie anderen Unternehmen geben, die sich mit dieser Thematik gerade beschäftigen?

Es ist sehr wichtig zu wissen, auf welche Vorteile die Mitarbeitenden zählen können, wenn sie sich für ein Unternehmen entscheiden. Um diese Botschaft transportieren zu können, muss man sich zuerst bewusst sein, was man vielleicht besser oder anders macht als andere. Und dies beginnt immer mit einem Benchmark respektive einer Marktanalyse. Dafür bieten die Vergleiche der swissICT eine gute Grundlage. Man kann sicher der eigenen Stärken bewusstwerden und wo nötig Massnahmen zu Weiterentwicklung einleiten.

 

«Wer in Bezug auf Home-Office keine Flexibilität zeigt, ist heute chancenlos auf dem Arbeitsmarkt»

Herr Ruggli, Sie sind Mitglied der Arbeitsgruppe Saläre von swissICT, die die Studie verantwortet. Warum nehmen Unternehmen an der Salärstudie teil? 

Die Gründe liegen auf der Hand. Man kann Saläre, die Löhne und Arbeitsbedingungen vergleichen. Das beginnt bereits in der Arbeitsgruppe. Von allen, die sich hier engagieren, spüre ich eine sehr grosse Offenheit, eine sehr grosse Transparenz. Selbstverständlich ist man auf dem Arbeitsmarkt Konkurrent. Aber wer die Studie nutzt, weiss haargenau, wie er oder sie die Löhne zu gestalten hat. Es ist ein wichtiges Element. Gerade bei Leuten, die sich im Markt nicht gut auskennen.

Was aber auch zu sagen ist: Die Salärstudie ist ein Experteninstrument. Sie ist sehr umfangreich. Man kann nicht einfach die 23 Seiten lesen – und dann weiss man alles. Man muss sich vertiefen und sich die Zeit nehmen, um zu verstehen, was da genau abgebildet wird.

In der Studie ist das Thema der Anstellungsbedingungen und insbesondere auch der Home-Office-Regeln ein sehr aktuelles und wichtiges Thema. Wie relevant ist es aus Ihrer Sicht?

In unserer Branche ist Home-Office sehr wichtig. Es ist mittlerweile ein Entscheidungsfaktor geworden. Wer in Bezug auf Home-Office keine Flexibilität zeigt und sagt, die Arbeit kann nur vor Ort ausgeführt werden, ist heute chancenlos auf dem Arbeitsmarkt. Man muss eine Antwort haben auf den Wunsch nach neuen Arbeitsformen und muss klären, wie die Zusammenarbeit konkret gestaltet wird. Home-Office ist heute ein wesentlicher und völlig normaler Bestandteil der Arbeit geworden.

Mit welcher neuen Erwartungshaltung sind Sie in den letzten ein, zwei Jahren zusätzlich konfrontiert worden? Nebst dem Home-Office-Thema?

Die Veränderung in den letzten Jahren hat immer auch eine zeitliche Komponente, also wieviel Zeit wird tatsächlich in Home-Office verbracht oder gibt es Verpflichtungen im Büro zu sein und die Arbeiten vor Ort zu erledigen. Das zweite betrifft also die Geographie, das heisst den Standort. Früher war ich eigentlich immer skeptisch, wenn Leute sich in Bern vorgestellt haben und sagten, mein Lebensmittelpunkt ist in der Ostschweiz oder Graubünden – oder was weiss ich. Heute ist das nicht mehr so wichtig.

Was sich auch verändert hat in den letzten zwei Jahren, sind die Zusammenarbeitsformen. Es gab eine Phase, in der man sagte: Entweder sind alle an Meetings dabei, also vor Ort, oder es sind alle online. Das war vor allem während der Pandemie so. Heute hat sich hybrides Arbeiten stark entwickelt und es ist völlig normal geworden, dass irgendjemand von irgendwo aus an einem Meeting teilnimmt. Die Technologie hat sich natürlich auch weiterentwickelt. Was früher fast unmöglich erschien, ist heute alltäglich.

Gemäss Medienberichten fordern die Leute inzwischen gar nicht mehr so viel Home-Office. So wie ich Sie jetzt verstehe, stimmt das gar nicht.

Ich war überrascht, als gewisse Grossbanken und grosse Tech-Firmen die Rückkehr ins Büro forderten. Ich glaube, wir haben das bei der Post, und insbesondere bei uns in der Informatik, gut gelöst. Wir haben nach wie vor einen hohen Anteil an Home-Office. Logischerweise haben auch wir uns nach der Pandemie wieder in die Richtung bewegt, dass man wieder vermehrt ins Büro zurückkehrt. Aber unser Ansatz ist, dass wird den Leuten zeigen möchten, dass es sich lohnt. Sie sollen es selbst spüren und auch erleben. Es macht beispielsweise mehr Freude, Workshops vor Ort gemeinsam zu erleben. Und dann gibt es all diese kleinen Dinge wie Kaffee, Gespräche und zufällige Begegnungen auf dem Gang, die man im Büro erlebt. Das versuchen wir zu zelebrieren und versuchen, immer wieder zu betonen, dass es schön ist, die Leute wieder mal zu sehen und einander in die Augen zu schauen.

Inwieweit waren solche Tendenzen auch bereits vor 2020 vorhanden?

Die Informatik war schon immer prädestiniert für Home-Office. Das war also bereits so, als ich 2009 begonnen habe, mich mit IT und IT-HR zu beschäftigen. Inzwischen kann man technisch noch viel mehr ermöglichen. Heute kann man mit dem Tablet herumlaufen und mit unterschiedlichsten Devices an Meetings teilnehmen. Das war früher etwas umständlicher. Die Post will die Entwicklung zu Home-Office nicht wieder rückgängig machen.

Die allgemeine Salär-Thematik im Arbeitsmarkt oder der Fachkräftemangel sind aktuelle Themen in der IT-Branche. Wie nehmen Sie diese Entwicklungen im ICT-Markt wahr? 

Uns geht es wie allen anderen: Wir suchen konstant hochqualifizierte Informatikerinnen und Informatiker. Da sind alle mehr oder weniger gleich gefordert. Ich bin aber froh, dass die Unternehmen trotzdem realistisch bleiben und keine überhöhten Löhne zahlen, nur damit sie die entsprechenden Leute gewinnen. Es ist wichtig, auch in Zukunft faire und angemessene Löhne zu zahlen. Es wäre aber nicht gut, plötzlich in eine Lohnspirale hineinzugeraten, die dann nicht mehr kontrollierbar ist und die Kosten dadurch durch die Decke schnellen.

Ein Lösungsansatz ist, im Ausland Leute zu suchen. Die Post hat in Lissabon einen Standort eröffnet, um dort die gewünschten Profile zu finden. Das ist recht erfolgreich. Daneben versuchen wir, mit nichtmonetären Themen ein attraktives Arbeitsumfeld zu schaffen. Etwa mit der Möglichkeit, remote aus dem Ausland zu arbeiten. Mit solchen Möglichkeiten, die Arbeit individuell zu gestalten, kann man auch attraktiv sein, ohne an der Geldschraube zu drehen.

Gibt es Ratschläge, die Sie anderen Unternehmen geben würden, die sich derzeit mit dem Thema Anstellungsbedingungen oder eben auch Home-Office auseinandersetzen?

Beim Home-Office haben wir bei der Post eine wirklich klare Haltung. Ich bin ein Gegner von irgendwelchen Kontingenten, von irgendwelchen Regeln, die da heissen, man muss mindestens so oder so im Büro sein. Einen solchen Ansatz finde ich falsch, da er keinen Mehrwert erbringt.

Im Gegenteil, die Leute fühlen sich bevormundet, eingeengt, kontrolliert und haben gleichzeitig ein schlechtes Gewissen, wenn sie die Regeln nicht einhalten können. Zu viel Kontrolle bedeutet auch einen riesigen administrativen Aufwand. Das heisst aber nicht, dass alles geht. Wir schauen schon genau hin, und wir schauen insbesondere dort genau hin, wo wir zusammen mit den Führungspersonen Auffälligkeiten entdecken. Wenn Leute praktisch nie mehr oder fast nie mehr in einem Büro physisch vor Ort sind oder an Workshops oder Sitzungen teilnehmen, sprechen wir das an. Wir fragen uns: Ist jemand am Verkümmern? Hat jemand Angst?

Ein Beispiel: Ein Mitarbeiter ist eine Hochrisiko-Person und hat immer noch Angst, sich unter die Leute zu mischen. In solchen Fällen ist es wichtig, genau hinzuschauen und individuelle Lösungen zu finden. Man muss auf zwei Ebenen arbeiten, auf der einen Seite so viel Freiheit und so viel Sinnhaftigkeit wie nur möglich schaffen – und gleichzeitig alles andere nicht vernachlässigen.

 

Die Interviews wurden von Cornelia Ammon geführt.

 

ZU DEN PERSONEN

Urs Gurtner (Bild oben, links) ist seit 2019 Fachexperte Personalpolitik bei den Schweizerische Bundesbahnen SBB. 2018-2019 war er Leiter HR Services bei Visana Services AG. Davor war er bei Visana von 2014-2018 Leiter Personalcontrolling und Honorierung. Er hat einen EMBA in Human Resources Management und ist Betriebswirtschafter HF.

Lukas Ruggli (Bild oben, rechts) ist HR-Geschäftspartner der IT Post. Als Betriebsökonom FH begann er 2003 im Marketing und Verkauf bei der Post. In den Jahren 2003 bis 2009 trug er zum Aufbau des Post-Shops bei. Nach seinem Abschluss in EMBA in Human Resource Management wechselte er in die HR-Branche, um in einem breiteren Themenfeld tätig zu sein. Seit 2011 ist er verantwortlich für das Personal der IT und Mitglied der Geschäftsleitung.

 

Mit Ihrem Besuch auf unserer Website stimmen Sie unserer Datenschutzerklärung und der Verwendung von Cookies zu. Dies erlaubt uns unsere Services weiter für Sie zu verbessern. Datenschutzerklärung

OK